
Lesefrüchte
"Miss Kim weiß Bescheid" von Cho Nam-Joo
Stand: 10.02.2023, 15:43 Uhr
Ausgerechnet Miss Kim, die gute Seele einer mittelmäßig erfolgreichen PR-Agentur, wird aus der Firma gemobbt. In der Titel gebenden Erzählung wird Miss Kim geschasst, weil sie den besten Überblick hatte: Sie wusste einfach zu viel.
Im neuen Erzählband von Cho Nam-Joo spielen Frauen die Hauptrolle: Sie sind zwischen zehn und achtzig, und alle acht stehen unter irgendeinem Druck: etwa die namenlose Studentin, die einen Abschiedsbrief an ihren Freund schreibt. Nach zehn Jahren Beziehung begreift sie endlich, dass seine anfängliche Aufmerksamkeit längst einer Dauer-Überwachung gewichen ist.
Cho Nam-Joo beschreibt den ständigen Druck, dem südkoreanische Frauen durch die starre Tradition ihres Landes ausgesetzt sind. Trotzdem hinterlassen ihre Texte kaum einen bleibenden Eindruck. Sie wirken wie journalistische Porträts: sachlich, aber statisch, ohne innere Kämpfe, ohne Widersprüchlichkeiten, wodurch literarische Tiefe erst entstehen kann.
Nur in einer, der längsten Geschichte gelingt es der Autorin, die Eindimensionalität ihrer Figuren aufzubrechen: Zwei Frauen weigern sich, ihre Enkel zu hüten. Stattdessen erfüllen sie sich ihren Traum: Eine Reise nach Kanada zu den Polarlichtern.
Eine Rezension von Andrea Lieblang
Literaturangaben:
Cho Nam-Joo: Miss Kim weiß Bescheid
Aus dem Koreanischen von Inwon Park Verlag
Kiepenheuer & Witsch, 2022
303 Seiten, 22 Euro