Buchcover: "Joseph" von Marie-Hélène Lafon

Lesefrüchte

"Joseph" von Marie-Hélène Lafon

Stand: 02.06.2023, 13:53 Uhr

Joseph hat sein Leben lang als Knecht auf verschiedenen Bauerhöfen in der Auvergne gearbeitet. Jetzt wartet er auf einen Platz im Altenheim. Mit faszinierender Detailkenntnis vom bäuerlichen Leben und Denken zeichnet Marie-Hélène Lafon das berührende Porträt eines bescheidenen Menschen.

Anlass zum Erzählen bietet immer nur das Besondere, Einmalige. Was gibt es schon Einmaliges und Besonderes im Leben von Menschen, das nur aus Arbeit besteht? Die große Kunst Marie-Hélène Lafons besteht darin, das in einem scheinbar so schlichten Leben steckende Drama zu entschlüsseln.

Im Leben des Knechtes Josephs besteht es aus ungenutzten Möglichkeiten und verpassten Chancen. Aus einer missglückten Liebesbeziehung, einer darauffolgenden 14 Jahre dauernden Säuferkarriere und der wiederum daraus resultierenden Unmöglichkeit, ein "eigenes Heim" zu gründen.

Marie-Hélène Lafon erzählt von diesem Unglück im Leben Josephs völlig undramatisch, eher nebenbei und aus seiner eigenen, distanzierten Sicht darauf viele Jahre später. Die Gelassenheit, mit der er sein Schicksal ohne jede Verbitterung annimmt, macht ihn zu einer ergreifenden literarischen Figur.

Eine Rezension von Peter Meisenberg

Literaturangaben:
Marie-Hélène Lafon: Joseph
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Atlantis Verlag, 2023
160 Seiten, 20 Euro