Der Titel bezieht sich auf eine historische Begebenheit im Leben des Musikers David Bowie. Als dieser 1973 mit dem Zug von Moskau nach Berlin fuhr, kam es wegen einer technischen Panne zu einem Zwischenstopp in der polnischen Hauptstadt.
Bei einem kleinen Stadtbummel ergatterte er einige Platten mit polnischer Volksmusik, die ihn und Mitkomponist Brian Eno ein paar Jahre später zu dem Instrumental-Stück "Warszawa" auf dem berühmten Alben "Low" inspirieren sollten.
Bowie ist allerdings hier nur eine Andeutung, ein Versprechen von Abenteuer, Verwegenheit und Individualismus. Alles keine Selbstverständlichkeiten im kommunistischen Osten. Zwar tritt Bowie zu Anfang und Ende des Buches auf, doch die wahren Stars sind hier die Normalsterblichen. Die kleinen Leute. Menschen wie du und ich. Die morgens schon wissen, was abends passieren wird. Und abends darüber nachdenken was morgens war.
Ihnen baut Dorota Masłowska in "Bowie in Warschau" ein eigentümliches, elegantes und unberechenbares Denkmal. Ein Roman wie ein Theaterstück, bis oben hin vollgestopft mit gepfefferten Dialogen. Mal zum Bersten anrührend, meist zum Brüllen komisch. Die polnische Autorin ist eine große Freundin der Menschheit und doch auch eine scharfe Kritikerin mit Argusaugen.
Die Handlung besteht aus lose verbundenen Alltagsszenen, darunter ein Familientreffen und ein Vorstellungsgespräch, die sprunghaften Übergange absichtlich lieblos und abrupt. Nur um zu sagen: "Ich, die Masłowska, könnte euch jede Szene zeigen. Egal wo, der Mensch ist Mensch, weil er isst und weil er bebt und weil er zankt."
Natürlich sind es vor allem die gesellschaftlichen Angelpunkte, die hier aufs Korn und unter die Lupe genommen werden. Wo Menschen mehr aus sich machen, als sie eigentlich sind. Und selten lesen sich Gespräche so unterhaltsam, so echt und unerwartet und so lustig wie bei Dorota Masłowska. Sie ist eine Meisterin der Konversations-Dynamik. Stimmungen kippen hier so schnell um wie ein unachtsam abgestelltes Glas.
Ein großes Lob gebührt auch Übersetzer Olaf Kühl, der dem Ganzen einen liebevoll theatralisch-derben Klang versetzt, der so gut passt wie ein Handschuh. „Bowie in Warschau“ ist ein kurzweiliges, raffiniertes Buch voller Leidenschaft, Humor und Wahrheit über das ewig komplizierte Menschsein.
Eine Rezension von Moritz Holler
Literaturangaben:
Dorota Masłowska: Bowie in Warschau
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl
Rowohlt Berlin, 2022
128 Seiten, 22 Euro