
Leesfrüchte
"Beutezeit" von Norris von Schirach
Stand: 06.01.2023, 11:42 Uhr
Ausgerechnet der 44-jährige Anton, der sich in Russland von jeg-licher Korruption fernhalten konnte, wird in New York dazu ge-bracht, im kriminellen Kasachstan einen Stahlkonzern zu errichten – mit dem Geld anonymer westlicher Auftraggeber.
Sein zweiter Roman liest sich wie ein flott geschriebener Agentenroman mit dem Gut-Menschen Anton an der Spitze: Doch das, was Norris von Schirach, älterer Bruder von Ferdinand, beschreibt, ist keine Fiktion. Er kennt die innerpolitischen Abgründe des Landes, weil er viele Jahre in Kasachstan lebte.
Schnell wird klar, dass sich in Kasachstan der 2000er Jahre, in denen der Roman spielt, auf den Trümmern des Kommunismus eine neue Oligarchie von Raubritter-Kapitalisten etabliert hat: Entweder, man zieht mit, oder man ist erledigt – geschäftlich sowieso, wenn es ganz schlecht läuft, auch physisch.Für Anton ist es irgendwann nicht mehr die Frage, ob er sich den Oligarchen beugt, sondern nur noch, wie viel er von seinen Werten verrät.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist "Beutezeit" ein hoch aktueller Roman: Denn Kasachstan, zwar bis heute korrupt, stellt sich als eine der wenigen Ex-Sowjetrepubliken gegen Russland. Es erkennt die Annexion der Ost-Ukraine nicht an und bietet Russen, die vor der Mobilmachung flüchten, Schutz.
Eine Rezension von Andrea Lieblang
Literaturangaben:
Norris von Schirach: Beutezeit.
Penguin Verlag, 2022.
347 Seiten, 24 Euro.