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"Das Café ohne Namen" von Robert Seethaler

Stand: 26.05.2023, 16:37 Uhr

Man darf einen Roman von Robert Seethaler auf keinen Fall "reinrüsseln", das hat die Schriftstellerin Dörte Hansen über die Bücher des Österreichers gesagt. Heißt nichts anderes, als sich beim Lesen Zeit zu nehmen. Um zu spüren, wie fein Seethaler seine Figuren zeichnet.

Der Roman spielt in Wien, zu Beginn der 70 Jahre, rund um den Karmelitermarkt. Arme Gegend, arme Leute. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Robert Simon, ein fleißiger Arbeiter, auf den man sich verlassen kann. Robert Simon träumt davon, ein kleines Café zu eröffnen. Aber er zögert, weiß nicht, ob das gutgeht.

Die Hoffnung, heißt es an einer Stelle, ist die Schwester der Dummheit. Schließlich nimmt er all sein Erspartes zusammen, pachtet das Café. Putz, schrubbt, tapeziert, malt. Gleich als er den Laden eröffnet, strömt die Kundschaft herein, es läuft gut. Aber wird das auch so bleiben?

Wenn Seethaler von den großen und kleinen Dingen im Leben der Menschen erzählt, über die Liebe, die Freundschaft, schwingt schon immer der Zweifel mit. Könnte sein, dass es sich nicht gut ausgeht. Stets gelingt es ihm beeindruckend, über Gefühle zu schreiben, ohne sie zu beschreiben.

Das Café erlebt gute und schlechte Tage, genau wie die Menschen, die in den nächsten zehn Jahren zu Stammgästen werden. "Das Leben liegt vor dir". An diesem Satz haben sie sich alle, als sie noch jung waren, festgehalten. Aber irgendwann, heißt es an einer Stelle, "gibt es mehr Vergangenheit als Zukunft. Was soll man ständig nach vorne schauen, wo da nichts mehr ist".

Seethalers Menschen wagen diesen Blick ohne großes Bedauern, eher mit einem Achselzucken. Sie haben nichts anderes von diesem Leben erwartet. Und von sich selbst auch nicht.

Eine Rezension von Christine Westermann und Andreas Wallentin

Literaturangaben:
Robert Seethaler: Das Café ohne Namen
Claassen Verlag, 2023
283 Seiten, 24 Euro