Buchcover: "Das Kreuz im Venn" von Clara Viebig

Buch der Woche

"Das Kreuz im Venn" von Clara Viebig

Stand: 11.11.2022, 07:48 Uhr

Zum 70. Todestag von Clara Viebig widmen wir der einst berühmten Eifel-Dichterin ein Buch der Woche. "Das Kreuz im Venn" erschien zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und ist einer ihrer beeindruckendsten Romane.

Die Hochzeit für Clara Viebigs literarisches Schaffen lag zwischen 1900 und 1930. Damals galt die Eifel als rückständige Region, wurde als "Preußisch-Sibirien" bezeichnet und war in weiten Teilen Deutschland bestenfalls als leere und graue Ödnis bekannt. Die Armut war ebenso groß wie die Kindersterblichkeit hoch.

Doch Clara Viebig, Tochter eines ursprünglich aus der Provinz Posen stammenden hohen preußischen Beamten, verliebte sich in die schroffe Landschaft. Das wird in unzähligen Landschaftsbeschreibungen ihrer Eifel-Romane überdeutlich. Insbesondere im 1908 verlegten "Das Kreuz im Venn" schimmert, leuchtet, blüht und brennt die Heidelandschaft in sämtlichen Farben. Die Natur und die Region werden Viebig zur Bühne für ihre Romanfiguren. Im vorliegenden Roman gibt es davon etliche. Eine richtige Hauptperson findet sich zwar eher nicht.

Vielleicht ist es die junge Bärbel Huesgen. Das junge Mädchen aus bäuerlichem Haushalt arbeitet schwer für wenig Geld in der Monschauer Tuchfabrik. Dann tritt sie eine für sie völlig abenteuerliche Reise an. Mit dem Zug geht es aus dem Monschauer Land nach Luxemburg, zur Echternacher Springprozession. Die Passagen über die immer wilder werdende Raserei der Wallfahrenden gehören zu den stärksten im Buch. Kirmes und Feuerschlucker, geldgierige Geistliche und ein erstes amouröses Erlebnis inklusive.

Ja, so wird es damals wohl gewesen sein, denn Clara Viebig war eine naturalistische Autorin. Emile Zola und Gerhart Hauptmann waren ihre Vorbilder, mit Theodor Fontane war sie befreundet. Die Menschen die sie beschreibt hat sie vorher ganz genau beobachtet. Vor allem den kleinen Leuten gilt ihre ganze Sympathie. Auch wenn sie sich (als Protestantin aus Preußen) über deren (katholische) Volksfrömmigkeit lustig macht.

Im "Kreuz im Venn" beten die Bauern lieber für ihre einzige Kuh als den Tierarzt rechtzeitig zu rufen. Und der Bürgermeister von Heckenbroich will keine modernen Wasserleitungen für sein Dorf. Weil man das Geld trotz Typhusgefahr besser in eine größere Kirche investieren sollte. Viebig schildert hier den Kulturkampf des Kaiserreiches. Und dazu die ganze Lebenswirklichkeit der Gesellschaft in jener Zeit.

Clara Viebig führt uns mit dem "Kreuz im Venn" mitten hinein in eine ferne und fremd gewordene Welt. In die Welt der Menschen, die vor etwas mehr als 100 Jahren in Nordrhein-Westfalen gelebt haben. Sie tut das unterhaltsam, in einer mitreißenden Sprache im Stile einer großen Erzählerin. Als solche galt sie auch im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts.

Ihre Werke verursachten sogar Skandale. Für ihren Roman "Das Weiberdorf" erntete sie einen "Shitstorm" (den man damals natürlich anders nannte). Später geriet sie in Vergessenheit. Sie sollte wiederentdeckt werden.

Eine Rezension von Michael Reinartz

Literaturangaben:
Clara Viebig: Das Kreuz im Venn.
Rhein-Mosel-Verlag, 2022.
328 Seiten, 12 Euro.