Autorin im Gespräch

Seyda Kurt über "HASS – Von der Macht eines widerständigen Gefühls"

Stand: 09.06.2023, 14:46 Uhr

Eigentlich ist Seyda Kurt der Meinung, dass unser aller Leben besser würde, wenn wir sehr viel zärtlicher miteinander umgingen. Aber dann hat sie die Angst heimgesucht, als Instagram-Lifestyle-Kachel-Spruchgeberin zu enden: "#loveistheanswer". Deswegen geht sie jetzt dahin, wo es unbequem wird.

Als die Journalistin und Autorin Seyda Kurt ein sehr erfolgreiches Buch über radikale Zärtlichkeit geschrieben hatte, wurde ihr aus der Leserschaft eine unvermeidliche Frage gestellt: Soll ich auch zu Nazis zärtlich sein? Diese Frage hat Kurt dazu veranlasst, sich mit einem weitaus unpopuläreren Gefühl auseinanderzusetzen: dem Hass.

Hass ist verpönt, er gilt als die gemeine große Schwester der Wut, wir machen Hass für alles schlechte in der Gesellschaft verantwortlich. Aber warum ist das eigentlich so? Und können wir im Hass nicht auch etwas produktives entdecken, eine Antriebskraft für menschliche, gesellschaftliche und politische Verbesserung? Das sind die großen Fragen, denen Kurt in ihrem aktuellen Buch nachgeht.

Sie erklärt uns im Buch die 5 wesentlichen Formen in denen uns Hass begegnet, und eine ganz wichtige davon hat mit Unterdrückung zu tun. Hass ist ein unverzichtbarer Bestandteil von Herrschaft, und zwar auf Seite der Herrschenden genauso wie auf der Seite derjenigen, über die Herrschaft ausgeübt wird. Sie erklärt uns, was den Hass vom Zorn unterscheidet (der ja weitenteils akzeptiert ist als Energiequelle für gesellschaftliche Veränderungen), oder von der Verachtung.

Seyda Kurt erliegt im Buch nicht der Versuchung, einfache Fragen auf komplexe gesellschaftliche Fragen zu liefern, sie erinnert uns nur daran, an welchen Punkten der Geschichte Hass auch eine Antriebsquelle war, sich zum Beispiel gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen - und warum gerade wir, als sogenannte deutsche Mehrheitsgesellschaft, uns damit ruhig ein bisschen mehr beschäftigen dürfen.

Sie verknüpft all das mit Ausflügen in die Geschichte, die klassische und neuere Philosophie und in ihre eigene Erlebniswelt, als Kind das in einer kurdisch-türkischen Einwandererfamilie groß wird.

Am Ende hat sie nicht nur interessante neue Fragen gestellt, sondern sie hilft uns auch dabei, auch unser aller Verhältnis zum Hass ein bisschen stoßzulüften. Auch wenn eigentlich klar ist, worauf das hinausläuft: wenn wir fertig sind mit dem Hass, dann ist eben doch love the answer...

Eine Rezension von Rebecca Link

Literaturangaben:
Seyda Kurt HASS – Von der Macht eines widerständigen Gefühls
Harper Collins, 2023
280 Seiten, 18 Euro