
Autor im Gespräch
Marc Sinan über "Gleißendes Licht"
Stand: 10.02.2023, 16:03 Uhr
Kaan wächst Mitte der 70er Jahre in Bayern auf. Sein Lebensziel ist eine Profikarriere als Musiker. Als seine türkische Großmutter stirbt, besucht er nach langen Jahren wieder den Ort seiner Kindheit am Schwarzen Meer. Die Reise bringt eine Wende in seinem Leben und er stellt sich der Geschichte seiner türkisch-armenischen Familie.
Kaans Großmutter Vahide war ein Opfer des Völkermordes an den Armeniern. Sie wurde zur Waise. Sein Großvater dagegen gehörte zu den Profiteuren, kam zu Wohlstand, um am Ende alles wieder zu verlieren. Als seine Großmutter stirbt, sieht sich Kaan als Erwachsener mit traditionellen Rollenmodellen in der Familie konfrontiert, die sein Leben in Frage stellen.
Am Ende der Reise verlässt seine Jugendliebe Zizi ihn und er macht sich auf, Antworten auf die ungeklärten Fragen in der Familiengeschichte zu finden: Wie haben es die Nachkommen der Täter und Opfer geschafft, mit dem Völkermord fertig zu werden.
Marc Sinan erzählt seine Geschichte nicht linear und chronologisch, er springt zwischen den Generationen und Zeitebenen. Episoden aus dem Leben der Großeltern werden aus seiner Erinnerung heraus erzählt. Es ist ein Roman mit autobiografischen Elementen, seine Großeltern und seine Mutter sind darin reale Personen.
Seine eigene Familiengeschichte verbindet Sinan mit historischen Ereignissen. Vergewaltigung, Gewalt und Brutalität benennt er ebenso direkt wie Zuneigung, Vertrauen und Zärtlichkeit. Erinnerungen und Wirklichkeit verschmelzen zu einer neuen Erzählung über Täter und Opfer.
Der Komponist Mark Sinan arrangiert in seinem Romandebüt seine Figuren, deren Geschichten und Erfahrungen zu einem eigenen Bild. Seine Vision: Ein Gesellschaft ohne Nationalismus und Größenwahn. Ein herausforderndes Buch, das durchaus den Wunsch nach sich zieht, mehr über den Völkermord an den Armeniern in der Türkei wissen zu wollen.
Eine Rezension von Susanne Wankell
Literaturangaben:
Marc Sinan: Gleißendes Licht
Rowohlt Verlag, 2023
272 Seiten, 24 Euro