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Julia Schoch über "Das Liebespaar des Jahrhunderts"

Autorin im Gespräch

Julia Schoch über "Das Liebespaar des Jahrhunderts"

Stand: 17.02.2023, 16:48 Uhr

Eine Frau will nach dreißig gemeinsamen Jahren ihren Mann verlassen. Noch einmal geht sie die Stationen des Zusammenlebens durch. Im zweiten Buch ihrer "Biographie einer Frau" spürt Julia Schoch in luziden Sätzen den Wandlungen der Liebe nach.

Es sind nur drei Worte: Ich verlasse dich. Drei Worte, die nicht unüberlegt ausgesprochen werden sollten. Denn es wäre schwierig, sie wieder zurückzunehmen. Wie ist sie zu diesem Punkt gekommen?

Noch einmal geht die Ich-Erzählerin die Erinnerungen durch. Es begann mit dem ersten gemeinsamen Sommer in der Plattenbauwohnung ihrer Eltern, als er ihr Vanilletee vorbeibrachte. Es war zur Zeit der Wende. Er erwies sich damals als der erste Mensch in ihrem Leben, der nicht sofort verschwinden würde. Sie folgt ihm blind. Andererseits war sie entschlossen, sich niemals für jemand anderen aufzugeben.

Es folgen die gemeinsame Studienzeit, die Auslandsaufenthalte, später zwei Kinder, eine gesundheitliche Krise, das zunehmende Schwinden von Nähe. Nach „Das Vorkommnis“ erkundet Julia Schoch im zweiten Teil ihrer autofiktionalen Romantrilogie den Wandel der Liebe im Laufe der Zeit.

Bleiben oder Gehen? Festhalten oder zu neuen Ufern aufbrechen? Was ist, wenn die Beziehung ein Schleppnetz ist, in dem man hängen bleibt, bis es zu reißen droht? In der Biografie des Individuums, spiegeln sich auch in diesem Text Zeitgeist und gesellschaftliche Trends wider. Hat Dauer per se einen Wert? Oder was macht ein erfülltes Leben aus?

"Sie kriegen uns nicht"“ hat der Mann der Frau oft im Angesicht von Luxus und Überfluss zugeflüstert. Die beiden haben als Kinder der DDR die Revolution `89, Wiedervereinigung, Wertewandel und Identitätsverlust erlebt. Sie sind insofern "Das Liebespaar des Jahrhunderts" weil ihre Liebe durch Phasen des historischen Umbruchs auch eine Erfolgsgeschichte von zwei Menschen ist.

Erinnerungen sind immer identitätsstiftend. Julia Schoch schreibt auch mit diesem eindringlichen Text wieder ostdeutsche Erfahrungen in den gesamtdeutschen Diskurs ein. Die Geschichte einer Liebe kann unterschiedlich erzählt werden. Jeder und jede muss für sich entscheiden, wie das Geschehen zu bewerten ist, ja welchen Wert es für sie oder ihn hat.

Julia Schoch hat ein Loblied auf die Liebe geschrieben. In luziden Sätzen spürt sie den Hochs und Tiefs, den Widersprüchen und Verwandlungen der Liebe in unruhigen Zeiten nach. Ehrlich, klug und unabhängig. Und zum Heulen schön.

Eine Rezension von Mareike Ilsemann

Julia Schoch über "Das Liebespaar des Jahrhunderts"

WDR 5 Bücher - Autoren im Gespräch 18.02.2023 11:44 Min. Verfügbar bis 17.02.2024 WDR 5


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Literaturangaben:
Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts
Dtv, 2023
192 Seiten, 22 Euro