Peter Bender lebt schon früh im Bewusstsein, dass Manches in diesem Kosmos ganz anders ist als immer behauptet. Als junger Pilot im Ersten Weltkrieg kommt ihm plötzlich die Erklärung für sein Störgefühl: Die Menschheit lebt in Wirklichkeit nicht auf der Erdkugel, sondern in ihrem Inneren! Es gibt kein Weltall da draußen, nur diese eine Hohlwelt.
Mit seiner Ehefrau, der Krankenschwester Charlotte, widmet der Kriegsversehrte fortan sein ganzes Leben Vorträgen, Schriften, dem Aufbau einer Gemeinde um seine Theorien des Innenweltkosmos und eines Beziehungsodells, in dem Menschen nicht zu zweit leben, sondern zu viert. Bender bleibt weitgehend erfolglos, aber der Obrigkeit ein Dorn im Auge.
Schließlich kommen die Nazis an die Macht. Immer deutlicher zeichnet sich ab: Dieses Deutschland ist kein Ort zum Überleben für eine Jüdin und ihren potenziell geisteskranken Ehemann. Nur Bender scheint von alledem nichts zu merken. Bender – der "deutsche Drittentdecker" des Innenweltkosmos – war lange Zeit vergessen, bis der Romanautor Clemens J. Setz im Jahr 2010 "in einem Nebensatz" auf ihn stieß.
Man merkt beim Lesen die Faszination und Sympathie, die Setz für diese standhaft uneinsichtige Figur entwickelt. Liebevoll, zärtlich beschreibt er Benders Innenwelt, kleidet seine Suche nach festem Halt im Leben, sein magisches Denken, seine verzerrten Wahrnehmungen, sein Gefühl der Naturverbundenheit in einzigartig schiefe Bilder.
Es ist nicht leicht zu ertragen, Peter Bender und seiner zutiefst loyalen Frau lesend in den vermeidbaren Untergang zu folgen. Eine Katastrophe in Zeitlupe, über 500 Seiten. Das tut weh. Aber man kann schon verstehen, warum Clemens J. Setz sagt, dass die Tragödie der Familie Bender "die beste Geschichte ist, die mir je untergekommen ist".
Eine Rezension von Fabian May
Literaturangaben:
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung
Suhrkamp Verlag, 2023
528 Seiten, 26 Euro
Hörbuchangaben:
Ungekürzte Lesung von Ole Lagerpusch
Tacheles,
zwei MP3-CDs, 17:41 Stunden, 25 Euro
Termine:
Clemens Setzt kommt zur LitCologne
Mittwoch, 8.3.2023, 18:00 Uhr
Kulturkirche Köln, Siebachstraße 85, 50733 Köln
Moderation: Hubert Winkels