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Carmen-Francesca Banciu über "Ilsebill salzt nach"

Autorin im Gespräch

Carmen-Francesca Banciu über "Ilsebill salzt nach"

Stand: 19.05.2023, 14:40 Uhr

Carmen-Francesca Banciu lebt einige Monate im ehemaligen Haus von Günter Grass im Dörfchen Wewelsfleth. Und kommt nicht nur dem berühmten Kollegen dabei schreibend nahe – sondern auch sich selbst.

Grass hat sein Haus 1985 der Stadt Berlin vermacht, seitdem vergibt die Akademie der Künste Arbeitsstipendien an Berliner Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Carmen-Francesca Banciu ist im zweiten Pandemiefrühling eine der Stipendiatinnen. Eigentlich, um an einem Roman zu arbeiten.

Doch dann formuliert sie Briefe an den ehemaligen Hausherrn. Darin erforscht sie biografische Gemeinsamkeiten, fühlt sich in das Dorfleben ein und beobachtet, wie der Frühling Einzug hält. Sie sitzt am Schreibtisch von Günter Grass, kocht in seiner Küche Gerichte aus ihrer rumänischen Heimat und schaut auf die Bäume, die auch er schon beim Schreiben sah.

Mit der Zeit lernt sie immer mehr Menschen im Ort kennen, von denen ihr viele bereitwillig ihre Geschichten erzählen: Elsa und Kurt zum Beispiel, die bald 66 Jahre verheiratet sind und fast genauso lange in Wewelsfleth leben. Und damit einen Grundsatz von ihr bestätigen: Dass man auf jedem Fleckchen Erde Spannendes entdecken und sich weiterentwickeln kann.

Details wie die von Grass spät gestandene SS-Vergangenheit nimmt Banciu zum Anlass, über das Leben in Unrechtsstaaten zu reflektieren. Darüber kann sie, die im Rumänien der Ceaușescu-Diktatur aufwuchs, viel erzählen. Zwischen den Briefen an Günter Grass sind in Wewelsfleth entstandene Gedichte platziert.

Viele fangen die Stimmung mitten in der Pandemie ein: Die Langsamkeit auf dem Land, aber auch die Sicherheit, die ein funktionierendes Dorfleben bietet. Die neue Hausbewohnerin zeigt außerdem ein feines Gespür für die Natur, wenn sie bestimmte Bäume oder Vögel als Individuen würdigt.

Banciu nimmt ihre Leser bei der Entdeckung des Dorfes Wewelsfleth, des abwesenden Hausherren Grass und ihrer eigenen Geschichte vertrauensvoll an die Hand. Auf diese Weise ist ein intimes und immer warmherziges Buch entstanden, das man nicht auf ein Genre festnageln kann: Hier ein bisschen Briefroman, da etwas Biografie, dort einige Gedichte. Die Autorin mag zwar bei Günter Grass am Herd stehen, doch kreiert sie am Ende ihr ganz eigenes stimmungsvolles Werk.

Eine Rezension von Lina Brünig

Carmen-Francesca Banciu über "Ilsebill salzt nach"

WDR 5 Bücher - Autoren im Gespräch 20.05.2023 13:07 Min. Verfügbar bis 18.05.2024 WDR 5


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Literaturangaben:
Carmen-Francesca Banciu: Ilsebill salzt nach
PalmArtPress, 2023
320 Seiten, 25 Euro