Als der Sohn das Gesicht des verstorbenen Vaters aus der Erinnerung verliert, beginnt das Aufschreiben: Er möchte ihm Anerkennung schaffen – auch vor sich selbst.
Nachdem der Vater eine Hirnblutung erlitt, müssen Sohn und Mutter entscheiden, wann die Beatmung im künstlichen Koma abgeschaltet wird. In dieser schwierigen Überlegung tauchen die widersprüchlichen Gefühle zum Vater wieder auf.
Andreas Schäfer erzählt behutsam und genau: Über den liebevollen Groß- und reizbaren Familienvater, der die Sprache seiner griechischen Frau nie lernte. Dass er gerne reiste, aber schnell reizbar war und die literarischen Erfolge des Sohnes kaum wahrnahm, um lieber von sich selbst zu sprechen. Und so sucht der Sohn nach den Gründen für die Unruhe und Unnahbarkeit in der Geschichte des Vaters und erzählt von dessen traumatischen Erlebnissen im Krieg und in der Familie, die ihn kurzerhand enterbt, als er seine Mutter, die Griechin, heiratet.
Im Schreiben über die Familiendynamik und die eigene Position darin, im "zwielichtigen Raum der Fiktion" macht sich der Erzähler - symbolisch in den Schuhen des Vaters - auf den Weg zu den griechischen Inseln, die der Vater erst spät bereiste: Dort hofft der Sohn in "archaischer Dankbarkeit", die Achtung für den trotz allem geliebten und respektierten Vater mit einem magischen Zugriff wiederzufinden.
"Die Schuhe meines Vaters" ist kein Roman, gewinnt aber aus dem Erzählanlass, dem berührenden und selbstkritischen Abschied vom Vater, romanhafte Züge. In einer dreiteiligen Suchbewegung zwischen Scham, Erinnerungen und Trauer wird auch deutlich, wie schwierig und zugleich bereichernd eine Herkunft aus zwei Kulturen sein kann. – Absolut lesenswert.
Eine Rezension von Bettina Hesse
Literaturangaben:
Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters
DuMont Buchverlag, 2022
185 Seiten, 22 Euro