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Buchcover: "VERSschmuggel / reVERSible Belfast – Berlin"

Aktuelle Lyrik

"VERSschmuggel / reVERSible Belfast – Berlin"

Stand: 09.06.2023, 14:53 Uhr

"Versschmuggel von Belfast nach Berlin und wieder zurück" – ein neuer Band der verdienstvollen Reihe mit irischer und deutscher Dichtung, eine lyrische Städtepartnerschaft.

Sechs Lyrikerinnen und Lyriker aus Belfast und Berlin haben sich 2022 zu einem Austausch ihrer Dichtung in Berlin getroffen. Gemeinsam transportierten sie, zu Paaren geordnet, ihre Dichtung in die jeweils andere Sprache. Da wurde geschraubt, gedrechselt und gefeilt, bis alle nach erschöpfender Diskussion zufrieden mit einer autorisierten Fassung ihrer eigenen Lyrik waren.

Daraus entsteht traditionsgemäß in der Reihe "VERSschmuggel" ein zweisprachiges Buch, das in beiden Ländern erscheint. Die Idee, zwei ehemals geteilte Städte zusammenzubringen, findet nicht beziehungsweise nur am Rande Niederschlag in der Poesie der Beteiligten – the times they are a-changin‘! Vor nicht allzu langer Zeit wäre zumindest, was die Lyrik aus Belfast betrifft, der politische Aspekt der Teilung bei der einen oder bei dem anderen sicher Thema geworden.

Eigentlich ein gutes Zeichen, dass der Nordirlandkonflikt zumindest für die hier vertretenen Dichterinnen und Dichter in den Hintergrund gerückt ist. Nick Laird, Stephen Sexton und Leontia Flynn erzählen in "Ausgangssperre" von aus dem Zoo befreiten Tieren, die sich durch Belfast schlagen, von der Schöpfungsgeschichte aus der Sicht Gottes in "Theodizee" und von einer Bootstour auf See in "Das kleine Boot hatte sich gedreht".

Ihre Berliner Kolleginnen Saskia Warzecha, Sonja vom Brocke und Kenah Cusanit wiederum erzählen von einer Kröte, die in den Seerosenteich gesprungen ist, von einer Mulde in der hintersten Zeile und davon, acht Stunden aus dem Fenster des Arbeitszimmers zu schauen. Rundum eine gelungene Veranstaltung, wobei die Lyrik aus Belfast hierzulande ein größeres Interesse finden dürfte.

In Irland sollte das umgekehrt sein, da dürfte die Lyrik aus Berlin mehr im Fokus stehen. Solche Anthologien sind immer wertvoll und interessant, denn sie spiegeln einen jeweiligen Ausschnitt der anderen, fremden Wirklichkeit. Inspirierend und gut.

Eine Rezension von Matthias Ehlers

Literaturangaben:
VERSschmuggel / reVERSible Belfast – Berlin
Mit Gedichten von Kenah Cusanit, Leontia Flynn, Nick Laird, Stephen Sexton, Sonja vom Brocke, Saskia Warzecha
Herausgegeben von Matthias Kniep Katharina Schultens
Wunderhorn Verlag, 2023
64 Seiten, 20 Euro