Aktuelle Lyrik
"Inventur des Sommers" von Raoul Schrott
Stand: 17.03.2023, 15:28 Uhr
Was ist da, wenn es nicht da ist? Raoul Schrotts Lyrik erkundet das Absente und den Zwischenraum in den Dingen, die ihren Abdruck in der Welt hinterlassen haben und uns doch als Menschen prägen. "Inventur des Sommers" verbindet Essay und Lyrik zu einem großen Ganzen.
Man könnte meinen, Erklärungen zerstören den Sinn der Poesie. Die Mehrdeutigkeit, die emotionale Bedeutung gehe verloren, wenn Gedichte, eingepackt in Randnotizen, Vor- und Schlussbemerkungen, ergänzt mit Orts- und Zeitangaben versehen werden. Dass dieser Spagat zwischen essayistischem Erkunden und poetischer Suche gleichsam gelingen kann, zeigt Raoul Schrott mit seinem Lyrikband "Inventur des Sommers".
Schrott geht in seinen Gedichten auf die Suche nach den letzten Worten von Gesetzlosen und Revolverhelden, die vermutlich in Bolivien verschwanden (Butch Cassidy) oder fährt mit Kim Basinger nach Anatolien, um sie über ihre Ehe mit Alec Baldwin auszufragen.
Auf der Suche nach dem Verlorenen streift Raoul Schrott durch die griechische Mythologie, Popkultur und Geschichte der Menschheit. Und egal, ob Essay, Gedicht oder Randnotiz: Die Schriften ergänzen sich und wachsen doch zur eigenen literarischen Schöpfungen, klug und poetisch zugleich.
Auf den Spuren des Verlorenen, des Absenten weiß man zugleich: Die Gedichte von Raoul Schrott sind da.
Eine Rezension von Jakob Stärker
Literaturangaben:
Raoul Schrott: Inventur des Sommers
Hanser Verlag, 2023
176 Seiten, 25 Euro