
Aktuelle Lyrik
"Gebete für meine Vorfahren" von Matthias Nawrat
Stand: 14.04.2023, 12:55 Uhr
Matthias Nawrat schreibt in seinem Lyrikdebüt über Gewalt und Migration aus einer Perspektive, die wenig erkundet ist. So spannt er einen historischen Bogen zwischen Kriegen und Fluchtbewegungen aus dem Osten Europas bis in die Jetztzeit nach Berlin.
Bereits fünf Romane hat Matthias Nawrat in den letzten zehn Jahren herausgebracht. Darunter auch "Der traurige Gast" aus dem Jahr 2019, der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war und mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet wurde. Zuletzt "Reise nach Maine".
Jetzt widmet sich der 1979 im polnischen Opole geborene Autor zum ersten Mal der Lyrik. Er hat im Verlag Parasitenpresse sein Lyrik-Debüt vorgelegt: "Gebete für meine Vorfahren". Dass Matthias Nawrat als Prosaautor Prosagedichte schreibt, dürfte niemanden verwundern. Dennoch merkt man diesen Gedichten an, dass sie kein zeitweiliger Ausflug in eine andere Gattung sind, sondern Ausdruck echter Neugierde, was seine lyrische Stimme zu sagen vermag.
In diese Zeilen schleicht sich dann und wann ein Reim ein, wobei die Rhythmen frei bleiben. Was auf den ersten Blick als assoziatives Parlando daherkommt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen durchaus als Bergwerk, in dem es zu schürfen gilt. "Meine Vorfahren versammelten sich / in unterirdischen Kirchen, sie sammelten Namen / auf unendlichen Listen, / das Gewölbe war der Mutterschoß, / in ihm aufgeschichtet / die Knochen, / die Listen verwandelten sich in unsere Sprache, / gesprochen heute." So heißt es in dem Gedicht "Woher ich komme".
"Gebete für meine Vorfahren" ist ein vielschichtiger Lyrikband, der wohl mehrfach gelesen werden will. Es ist kein Debüt, das große Hits beinhaltet, aber dafür eines, das durch historische Breite und inhaltliche Tiefe punktet. Matthias Nawrat beweist, dass er dem Lyrikfach gewachsen ist und auch hier einen eigenen Sound hat.
Eine Rezension von Christoph Ohrem
Literaturangaben:
Matthias Nawrat: Gebete für meine Vorfahren
Parasitenpresse, 2022
68 Seiten, 12 Euro