
Kommentar: Weihnachten im Mai
Stand: 10.05.2022, 13:10 Uhr
Derzeit versuchen viele, runde Geburtstage nachzuholen oder die wegen Corona ausgefallene Hochzeitssause. Nicht einfach, weil es so viele sind und die absolut beliebten Samstage und auch die Freitage als zweite Wahl vielerorts bereits ausgebucht sind. Wir haben heute darüber gesprochen. Auch über den Klopper, dass auf Schloss Burg in Solingen der Weihnachtsmarkt nachgeholt wird. Jetzt, am 20. Mai. Mit Schlittschuhbahn und Glühwein. Irene Geuer sagt: Das ist zu verrückt.
Von Irene Geuer
Also ehrlich: Glühwein bei einem Wetter, das gerade den Sommer heraufbeschwört? Duft von Zimt soll einen Mai aufmischen, der Millionen Blütendüfte hervorbringt. Das funktioniert, glaube ich, genauso wenig, wie Karneval in den Sommer zu verlegen. Die Pappnase ist nur im Winter richtig rot. Ja, klar, man kann theoretisch immer alles feiern, aber es fühlt sich komisch an. Die Stimmung ist eine andere. Und erst die Klamotten. Im Sommerkleid kann man prima Prosecco trinken, aber Glühwein?
Ich kann ja verstehen, dass Händler, Schausteller und Organisatoren lieber jetzt einen Markt organisieren, als zum Jahresende, da mit der kalten Jahreszeit wieder alles so unsicher sein kann. Und doch kommt mir Erich Kästner in den Sinn. Er wollte seinen Bestseller "Das Fliegende Klassenzimmer" schreiben. Mit Winter und Schneeballszenen und Weihnachten. Es war aber Sommer und es ging nicht. Da buchte ihm seine Mutter kurzerhand eine Reise zur Zugspitze. Mit Blick auf den Schnee flossen ihm die Winterszenen aus der Feder. Und wenn Wolken die Zugspitze verdeckten, dann schrieb er Szenen, die im Zimmer spielten. Es braucht eben alles seine Zeit und das richtige Ambiente.
Schloss Burg können wir nicht auf die Zugspitze verlegen. Schwer tut sich auch ein Karnevalsverein in Köln, sein 40-jähriges Bestehen nachzufeiern – zwei Jahre später. Vielleicht warten sie auf das 45ste. Sie überlegen noch. Feste muss man feiern, wie sie fallen. Weil das auch den kleinen Vorteil hat, dass ihr Datum allen bekannt ist und wir zusammen sein können. Ich finde die Idee eines niederländischen Unternehmens, Feiertage in Urlaubstage umzuwandeln, sodass jeder selbst entscheiden kann, geht gar nicht. Hey Hans, gehst Du mit mir Eis essen? Nein, ich feiere gerade Weihnachten. Da fehlt dann doch etwas ganz Entscheidendes fürs Feste feiern: der Gemeinschaftssinn.
Aber zurück zum Weihnachtsmarkt im Frühling. Schloss Burg sollte eine Ausnahme bleiben. Ich habe aber einen Vorschlag, wie alle dieses Jahr mehr Weihnachtsmarkt haben können, ohne den Frühling zu drangsalieren. Eröffnen wir doch einfach die Weihnachtssaison, wenn in die Supermarktregale wieder Printen und Spekulatius einziehen. Weihnachtsmärkte ab dem 1. September. Dann haben wir wenigstens Herbst.