
Wir waren Papst - Benedikt XVI. ist tot
Stand: 31.12.2022, 11:09 Uhr
Wir waren Papst. Benedikt XVI. ist tot. Er ist 95 Jahre alt geworden. Mit ihm verbunden erstaunliche Novitäten: Erster deutscher (!) Papst der neueren Geschichte und "papa emeritus". Und im Vatikan? Dort gilt wieder der Satz: "Es kann nur einen geben!"
Von Wolfgang Meyer
Wie im Kinofilm "Highlander" war das jahrhundertelang die Regel für die obersten Hirten der römisch-katholischen Christen: Eine Kirche, eine Lehre – ein Papst. Wann immer es zwei gegeben hatte, herrschte eine Art heiliger Krieg.
Benedikt XVI. hat aller Welt gezeigt: ´Ich kann diese Regel brechen!` Das war am Rosenmontag des Jahres 2013. So manch einer in Deutschland hat sich damals als Papst verkleidet - der Papst selbst hingegen verkündete, er werde das Kostüm ablegen und wieder als einfacher Kardinal gehen.
Als Papst Benedikt XVI. NRW besuchte
Von 2005 bis 2013 war Papst Benedikt XVI. Oberhaupt der katholischen Kirche, bereits im August 2005 besuchte er den Weltjugendtag im Erzbistum Köln. Eine Rückschau in Bildern.
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Gibt es eine Altersruhe für den Papst?
Nur langsam ist damals die Nachricht durchgesickert: Benedikt XVI. tritt zurück. Ein Papst, der freiwillig abtritt – so etwas habe es seit mehr als 700 Jahren nicht mehr gegeben, rechneten damals Kirchenhistoriker vor. Und in Rom stand die Warum-Frage im Vordergrund: Warum verlässt er die Bühne, dieser einst so bejubelte deutsche Pontifex, dieser Josef Ratzinger? Die offizielle Antwort: Er sei zur Gewissheit gelangt, dass seine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet seien, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.

Mythen um seinen Rücktritt
Wie üblich - wenn es um den Vatikan geht - glaubten damals viele an ein Theaterspiel, an eine Maskerade - was mag da wohl verhüllt werden - welche Strippen hat wer hinter den Kulissen gezogen? So manch einer in der katholischen Welt spekuliert bis heute über Intrigen und dubiose Machenschaften hinter diesem Rücktritt.
Menschen, die Benedikt XVI. alias Josef Ratzinger gut kannten, hielten das für Unsinn. Etwa der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck: "Ich war zuerst ganz berührt und dann zugleich sehr erstaunt und überrascht und dachte im zweiten Augenblick: Das passt zu ihm." Es passte tatsächlich zu jenem Mann, der immer schon seine Kostüme und Rollen hat wechseln wollen.

Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Kölner Kardinal Josef Frings 1956 in Köln
Ratzingers "wilde Jahre"
In den Jahren 1962 bis 1965 hat Ratzinger den jungen Wilden gegeben. Während des so genannten Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings hatte den damals jungen Theologieprofessor zu seinem Peritus gemacht, zu seinem Konzilsberater. Frings hielt in Rom immer wieder aufsehenerregende, für einige auch schockierende Reden. So schimpfte er über den Allmachtsanspruch der römischen Kurie. Und bezeichnete die Methoden des Heiligen Offiziums, der Nachfolgerin der Inquisition, als Skandal vor der Welt.
Was damals nur wenige wussten: Diese reformerischen Reden stammten aus der Feder seines theologischen Teenagers, wie Frings ihn nannte, aus der Feder Joseph Ratzingers. Der junge Bayer hat damals mit der Stimme des Kölner Kardinals für die Stärkung der Rechte einzelner Christen gegenüber der übermächtigen Institution Kirche gekämpft. Und gegenüber dem Heiligen Offizium. Niemand hätte es damals für denkbar gehalten, dass ausgerechnet dieser junge Wilde eines Tages zum Chef der von ihm angegriffenen Kirchenbehörde berufen werden und die Gegenrolle einnehmen würde.

Joseph als Schuljunge 1932
Aus bescheidenen Verhältnissen
Josef Ratzinger stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater war Gendameriemeister im bayerischen Marktl am Inn, die Mutter verdiente ein paar Pfennige als Köchin dazu. Die Armut, so hat es Ratzinger später ausgedrückt, habe der Familie eine innere Solidarität beschert.
Als Adolf Hitler an die Macht kam, war Josef fünf Jahre alt. Der Vater schimpfte damals auf diese "Hakenkreuzler". Das Kapitel Hitler und der Holocaust, so hat es Josef Ratzinger später gesagt, dürfe niemals vergessen werden. Die Kirche sei zutiefst und unwiderruflich verpflichtet, jegliche Art von Antisemitismus zu bekämpfen.
Berufung zum Erzbischof von München
Im Frühjahr 1977 hat Papst Paul VI. Ratzinger zum Erzbischof von München und Freising berufen. Und drei Monate später hat Rom ihn zum Kardinal ernannt. Und dann - weitere drei Jahre später - der große Karrieresprung: Der gerade neu gewählte Pontifex Johannes Paul II. ernannte Ratzinger überraschend zum Chef seiner Inquisition, zum Präfekten der Glaubenskongregation in Rom.
Vom jungen Wilden zum "Großinquisitor"
In dieser Funktion hat der einstige junge Wilde alles Neue erbittert bekämpft. Er hat sich gegen die so genannte Theologie der Befreiung Lateinamerikas gestellt, er hat sich vehement gegen feministische Reformen ausgesprochen, hat theologisch Andersdenkenden gnadenlos die Lehrerlaubnisse entzogen. Und Katholikinnen der Möglichkeit beraubt, Schwangerschaftskonflikte durch Abtreibung zu lösen.
Die Süddeutsche Zeitung nannte Ratzinger damals den Großinquisitor aus Marktl am Inn, der für eine Mitsprache der normalen Gläubigen kaum noch Spielraum lässt.
"Wir sind Papst"
Und dann: Papst. April 2005. Die Hauptrolle im Vatikan. Josef Ratzinger, der sich von nun an Benedikt XVI. nannte, hat diese Rolle anfangs - so jedenfalls gab er es vor - ohne große Freude übernommen. Seine Wahl zum Pontifex Maximus, seine Berufung auf den Stuhl des Fischers verglich Ratzinger mit einer Hinrichtung. "Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindlig zumute."

"Wir sind Papst" - diese Titelzeile eines deutschen Boulevardblatts ging damals in die Medien - und Kirchengeschichte ein. Weltweit eine Sensation: Ein deutscher Papst, ein ehemaliger Flakhelfer Hitlers auf dem Stuhl Petri.
"Panzerkardinal" wird Papst
"Was denn, dieser ´Panzerkardinal` wird Papst?" So schimpften seine Kritiker in Deutschland. Und schüttelten über die Besetzung in Rom den Kopf. Aber Ratzinger überraschte die Welt und trat ohne Stahlmaske auf. Zeigte Kompromissbereitschaft und Milde. Der Panzerkardinal – als Papst zeigte er sich lächelnd – er schlug den warmen, weichen, den herzlichen Ton an.

Fast wie Popstar gefeiert
"Ich bin glücklich, mitten unter jungen Menschen zu sein, ihren Glauben, so Gott es will, zu stützen, und ihre Hoffnung zu beleben." Diese Jugend hat ihn im Anfang wie einen Popstar gefeiert. Und Joseph Ratzinger, Benedikt XI. passte sich dem neuen Amt an, so wie er sich dem Amt des Präfekten angepasst hatte. Nun war er eben nicht mehr Großinquisitor, sondern Papst, das Kirchenoberhaupt für alle Katholiken. Nun durfte er nicht mehr ab- und ausgrenzen, nun musste er die Integrationsfigur sein.
Ein Papst, der Kindesmissbrauch billigt?
Im Frühjahr 2022 fiel auf ihn der Schatten des Skandals um sexualisierte Gewalt. Ein Gutachten schien zu bestätigen, dass Ratzinger - noch als Erzbischof von München und Freising - es gebilligt haben könnte, dass ein des Missbrauchs überführter Priester wieder eingesetzt wurde.
Wir waren Papst. Benedikt XVI. ist in die Kirchengeschichte eingegangen. Nicht, weil sein Pontifikat so außergewöhnlich war, sondern weil dieser Mann aus Bayern es eben vorzeitig beendet hat. Die große Aufgabe, die katholische Kirche zu erneuern, sie ins 21. Jahrhundert zu führen, hat er seinen Nachfolgern überlassen.