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14.08.2018 – Tschaikowsky, "Pique Dame" bei den Salzburger Festspielen

Stand: 14.08.2018, 13:50 Uhr

Musik kann sprechen, die Szene kann sprechen, das Bühnenbild kann sprechen und die Kostüme können es. Die Kostüme von Reinhard von der Thannen in "Pique Dame" bei den Salzburger Festspielen sprechen deutlich, mit rhetorischer Kunst und in geradezu barocker Verzierungslust.

Ganz rot ist die Uniform von Hermann, dem Spieler. Er trägt die Jacke offen auf nackter Brust. Seine Erscheinung drückt Unruhe aus. Seine Ungezähmtheit drängt körperlich nach außen. Seine Gefährten Surin und Tschelanski haben lange Mähnen und üppig wallende schwarze Mäntel an. Sie wirken verlottert, lässig und brachial. Die uralte Gräfin, die das Geheimnis der drei Karten bewahrt, ist in ein Girlie-Outfit gesteckt, ihre Perücke macht sie scheinbar um Jahrzehnte jünger, obwohl sie, wie sich später erweist, todkrank ist.

Die blaue Uniform von Fürst Jelezki ist im Gegensatz zu der von Herman überkorrekt, mit Orden behängt, die Hand immer am Säbel. Erst am Schluss ist er so derangiert wie Surin und Tschelanski. Nur Lisa, die Braut des Fürsten, die sich zu Hermann hingezogen fühlt, bleibt immer formell gekleidet, mal schwarzes Bustier und weißer Rock, im zweiten Teil genau umgekehrt. Sie schlüpft keine Sekunde aus ihrem Schwarz-Weiß-Panzer. Und dann die Chöre. Die Kindersoldaten wirken in ihrem Weiß-Grau wie Gipsfiguren, Die Erwachsenen sind immer schwarz, aber mit ihren Umhängen und ihrem Federkopfschmuck oder den Reifröcken, die wie Insektenkörper aussehen, strahlen sie animalische, aber doch gezähmte Energien aus.

Tschaikowsky, 2. Akt von „Pique Dame“ bei den Salzburger Festspielen

Brandon Jovanovich als Hermann und Hanna Schwarz als Gräfin im 2. Akt von Tschaikowsky "Pique Dame"

Damit das alles so wirken kann, hat der Bühnenbildner Christian Schmidt auf der riesigen Bühne des Festspielhauses nur einen einfachen dunklen Raum geschaffen mit Kassettenwänden, in den die wenigen Requisiten auf offener Szene auf Laufbändern hinein geschafft werden. Nur einmal wird die Bühne eng und ist in blendendes Weiß getaucht. Es ist das Krankenzimmer der Gräfin, in das sich Hermann geschlichen hat, um ihr das Geheimnis der Karten zu entlocken. Hier nimmt sie, anrührend gespielt von Hanna Schwarz und mit erlöschender Kraft gesungen, all ihr Energie zusammen und bettelt Hermann glatzköpfig um ein letztes erotisches Abenteuer an.

Diese sprechenden Bilder bergen so viel Erklärungspotenzial, dass der Regisseur Hans Neuenfels, sollte man meinen, die Figuren nur noch arrangieren muss. Gegenüber seinen früheren Regiearbeiten, in denen es immer auch um politische und gesellschaftskritische Aussagen ging, setzt er diesmal feine Akzente. Er konzentriert sich auf die Figur des Hermann, der erst noch hoffnungslos Liebender ist, dann zusehends zum Besessenen wird. Brandon Jovanovich spielt und singt diesen Menschen in einer Mischung aus Wut, Ekstase Fatalismus, der seine Spielsucht als Drang zu vermeintlicher Freiheit und Selbstbestimmung erlebt. Demgegenüber bleibt Evgenia Muraveva als Lisa seltsam blass. Dass sie von diesem Hermann affiziert ist, glaubt man ihr nicht, obwohl sie ihre große Arie am Ufer der Newa in klangschönen Farben und durchaus ausdrucksvoll singt. Noch ihr Selbstmord wirkt unverbindlich und beiläufig,

Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker tragen zu diesem Panorama mehr bei, als man beim Anblick der Kostümwelten zunächst glauben mag. Die gebändigte Heiterkeit der Chöre, der sanfte Mozart-Ton im pastoralen Intermezzo des 2. Akts, die überaus kluge, niemals drängende Tempowahl, die fein phrasierten Linien und herausmodellierten Melodiepartikel ergeben, um es noch einmal zu sagen, das sprechendes Gemälde einer Oper, ein Arrangement von Szenen, wo das Volkstümliche und die vielen eingestreuten Lieder nur scheinbar die dramatische Verlaufskurve bremsen. Mariss Jansons stellt all das nicht blank nebeneinander, sondern findet einen übergreifenden Ton von melancholischer Natürlichkeit.

Premiere: 05.08.2018, besuchte Vorstellung: 13.08.2018, noch am 18., 22. und 25.08.2018

Besetzung:
Hermann: Brandon Jovanovich
Graf Tomski / Plutus: Vladislav Sulimsky
Fürst Jelezki: Igor Golovatenko
Lisa: Evgenia Muraveva
Polina / Daphnis: Oksana Volkova
Gräfin: Hanna Schwarz
Tschekalinski: Alexander Kravets
Surin: Stanislav Trofimov
Narumow: Gleb Peryazev
Tschaplizki: Pavel Petrov
Gouvernante: Margarita Nekrasova
Zeremonienmeister: Oleg Zalytskiy
Mascha: Vasilisa Berzhanskaya
Chloe / Prilepa: Yulia Suleimanova
Schäferspiel: Imola Kacso, Márton Gláser, Juan Aguila Cuevas

Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Mariss Jansons
Regie: Hans Neuenfels
Bühne: Christian Schmidt
Kostüme: Reinhard von der Thannen
Licht: Stefan Bolliger
Video: Nicolas Humbert, Martin Otter
Choreografie: Teresa Rotemberg
Dramaturgie: Yvonne Gebauer
Choreinstudierung: Ernst Raffelsberger
Leitung Kinderchor: Wolfgang Götz