04.11.2018 – Antonio Salieri, „La fiera di Venezia in Leverkusen

Stand: 04.11.2018, 13:50 Uhr

Antonio Salieri wird immer noch unterschätzt. Das ist kein Wunder, wenn sich die Opernwelt 200 Jahre lang immer an Mozarts sieben großen Opern abarbeitet und Salieri noch immer als dessen Antipode betrachtet, was er nicht war. Dabei hat er viel mehr geschrieben und war viel flexibler als Mozart. Er ist im klassischen Stil auf Augenhöhe mit Mozart, er konnte aber auch lupenreine französische Opern schreiben und war absolut sattelfest in dem frühen italienischen Buffogenre. Bei seinen 50 Opern fällt es allerdings schwer, den Überblick zu behalten. Daher ist es sehr verdienstvoll, wenn Werner Ehrhardt mit seinem Ensemble l’arte del mondo im Bayer Erholungshaus in Leverkusen erneut eine Salieri-Oper vorgestellt hat, „La fiera die Venezia“, ein Werk des 21jährigen Salieri aus dem Jahr 1772.

Das ist ein richtig schweres Stück, weil die Handlung mit Verkleidungs-, Täuschungs- und Verführungsszenen echte Sängerdarsteller verlangt, die immer ein bisschen mehr zeigen müssen als schablonenhafte commedia dell’arte Figuren, nämlich Personen von recht komplizierten Charakteren.

Da ist z. B. der Herzog Ostrogoto, der auf der Himmelfahrtsmesse von Venedig ein Liebesabenteuer mit der koketten Falsirena erleben will. Er ist ein bedürftiger Erotomane, der sich trotzdem immer unter Kontrolle hat etwa in seiner Auftrittsarie „Il pargoletto amabile“, wo er sich als Opfer von Amor stilisiert. Krystian Adam singt ihn mit der larmoyanten Noblesse eines Don Ottavio in Mozarts „Don Giovanni“, gepaart mit der Dünkelhaftigkeit des Grafen in „Le nozze di Figaro“.

Antonio Salieri, La fiera di Venezia in Leverkusen

Francesca Lombardi Mazzulli als Falsirena Giorgio Caoduro als Belfusto

Oder Falsirena: in ihr sieht man eine Susanna, eine Despina, eine Zerlina zugleich - und noch mehr. Ihr jugendlicher Liebhaber Belfusto bezeichnet sie in einem langen Rezitativ als zahm und stolz, bescheiden und überheblich, verachtend und schmeichelnd. Diese Rezitative machte Massimiliano Toni auf der Bühne sitzend mit seinen Klaviersoli und Improvisationen zu einem musikalischen Ereignis sui generis. Die Sängerin Francesca Lombardi Mazzuli gibt ihr den Charakter einer sympathischen falschen Sirene, eben einer Falsirena. Sie kann derb und kokett zugleich singen, charmant, wenn sie ein französisches Chanson darbietet oder gestelzt als deutsche Gräfin.

Belfusto ist eine Mischung aus Mozarts Masetto und Leporello im „Don Giovanni“. Er hat sogar wie dieser eine veritable Registerarie, in der er erklärt, was es alles aus welchen Ländern auf dem Jahrmarkt, der fiera von Venedig, zu kaufen gibt. Man möchte den Sänger Giorgio Caoduro am liebsten in beiden Mozartpartien erleben.

Die größte Aufmerksamkeit hat Salieri aber Calloandra, der Verlobten von des Herzogs, zuteil werden lassen. Sie ist gefühlvoll wie die Contessa im „Figaro“ aber zugleich von barocker Emphase. Das Hauptstück der Oper ist ihre lange Arie „Vi sono sposa e amante“, die Dilyara Idrisova hingebungsvoll mit einem phänomenalen messa di voce auf diese Anfangsworte und später mit bizarren Koloraturen zugleich singt. Das alles ist eingebunden in schöne Soli der Oboe und der Flöte. Unweigerlich fühlt man sich an die berühmte Arie des Sesto „Parto, ma tu ben mio“ mit dem Klarinettensolo in Mozarts „Titus“ erinnert.

Mozart ist also immer der Referenzpunkt bei Salieri. Vielleicht sollte man aber umgekehrt hören und dabei entdecken, wieviel Zeittypisches sich bei Mozart verbirgt.

Eine zusätzliche Freude bereitete im Bayer Erholungshaus die halbszenische Aufführung. Die Regisseurin Deda Cristina Colonna machte die Personenkonstellationen durch geschickte Platzierungen im Raum deutlich und durch genau einstudierte Gesten und Interaktionen vor einem den Markusplatz darstellenden historisierenden Prospekt.

Aufführung am 03.11.2018, auf WDR 3 am 26.05.2019 um 20.04 Uhr

Besetzung:
Falsirena: Francesca Lombardi Mazzulli
Ostrogoto: Krystian Adam
Cristallina: Natalia Rubís
Calloandra: Dilyara Idrisova
Grifagno: Furio Zanasi (Grifagno)
Belfusto:  Giorgio Caoduro
Rasojo: Emanuele d’Aguanno

Chor und Orchester l’arte del mondo
Musikalische Leitung: Werner Ehrhardt
Regie: Deda Cristina Colonna