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Michael Weinius in Camille Saint-Saëns, „Samson et Dalila“ in Düsseldorf (Deutsche Oper am Rhein)

02.11.2019 - Camille Saint-Saëns, „Samson et Dalila“ in Düsseldorf

Stand: 02.11.2019, 12:25 Uhr

Vom Orchestergraben aus wuchtet Düsseldorfs 1. Kapellmeisterin Marie Jacquot musikalische Schwergewichte nach oben auf die Bühne. Die Ouvertüre zu „Samson et Dalila“ erklingt in weiten Bögen mit langen Crescendi. Das Blech dröhnt, die Kontrabässe geben wulstige Töne von sich. Wenn der Chor einsetzt: „Dieu d'Israël! Ecoute la prière“ -  „Gott Israels! Erhöre die Gebete“, gibt es ein noch gewaltigeres Crescendo. Oben sieht man Minenarbeiter, Frauen und Männer, mit Grubenlampen. Das passt irgendwie nicht zusammen.

Kurz darauf brüllt Michael Weinius mit echter Siegfried-Heldenstimme als Samson zum Aufruhr gegen die Philister, aber er sieht aus wie ein feister, verlotterter Arbeiter. Auch später noch, als er sich als Sieger wähnt und zum Rendezvous mit Dalila geht, hat er Schmuddelkleidung an und trägt einen Pferdeschwanz, der Samsons sieben Locken darstellen soll und ihm abgeschnitten wird. Auf die Idee, dass diese nachlässige Freakfrisur ein Männlichkeitssymbol darstellen soll, muss man erst einmal kommen. Dalila wird in der Inszenierung von Joan Anton Rechi als Bordellbesitzerin vorgestellt. Willig gehen die Hebräer, einer nach dem anderen, in das Etablissement und reichen Geldscheine, selbst der würdige Alte Hebräer (sonor gesungen von Sami Luttinen) kann nicht widerstehen. Auch das passt nicht zu der duftigen Musik, und die Philisterinnen – sprich die Bordellangestellten – treffen bei ihrem Gesang „Voici le printemps“ - „Der Frühling ist eingekehrt“, nicht den richtigen luftig-lieblichen Ton.

So gibt es ständig Brüche zwischen oben und unten und selbst auf der rein musikalischen Ebene hatte man noch nach einer Stunde den Eindruck, als müssten von Marie Jacquot die Bausteine der Partitur erst noch richtig zusammengesetzt werden. Da herrschte im Orchester Druck und Gestaltungswille, aber die Sänger agierten in merkwürdiger Beiläufigkeit. Bis zu dem berühmten Duett von Dalila und Samson im 2. Akt: „Mon coeur s'ouvre à ta voix“. Hier sang Ramona Zaharia zum ersten Mal wie eine echte Verführerin in weit ausgeschwungenen Phrasen zu funkelnden Klängen aus dem Orchester und in einem gemeinsamen Beben und Atmen. Von da an vergaß man auch die hölzerne Regie mit ihrer Geldkoffer-, Krawatten-, Maschinenpistolen-Ästhetik.

Den Moment, in dem Samson das Geheimnis seiner Kraft verrät (seine Haartracht), diese durch Dalila verliert, überwältigt und geblendet wird, hat Saint-Saëns nicht vertont. In Düsseldorf wird diese Handlung gezeigt. Der Oberpriester schneidet ihm die Augen aus dem Kopf und legt sie wie Reliquien in eine Opferschale. Im dritten Akt feiert er mit den Philistern eine okkulte Messe. Simon Neal spielt diesen Oberpriester als irrenden, taumelnden und tänzelnden Fanatiker. Er zelebriert eine merkwürdige Blut-und-Geld-Religion zu Ehren des Gottes Dagon und kann dabei so kraftvoll bestimmend singen wie ein Wotan und zugleich so verschlagen wie ein Jago.

Auch Michael Weinius als geblendeter Samson findet – auch hier zusammen mit Orchester – endlich zu einem echten Klagegesang, während er vorher immer irgendwie unbeholfen herumgestanden war.

Ein Grundproblem dieser Produktion bleibt bestehen. Nichts gegen die Verlagerung der biblischen Handlung in die Gegenwart: Die mächtigen Philister können Minenbesitzer und moderne Sklavenhalter sein, und weibliche Erotik kann zur Prostitution degenerieren. Aber das moderne Setting muss zur Struktur des Werkes passen. Und da ist Dalila erst einmal eine von tiefen Rachegefühlen besetzte Person und nicht nur eine gelangweilte, Zigaretten rauchende Puffmutter und die Hebräer vor allem ein ihrem Gott ergebenes Volk und nicht nur aufbegehrend gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Andererseits: so skurril die Verherrlichung des Gottes Dagons im 3. Akt anmutet, denn warum sollten – in Joan Anton Rechis eigener Logik - Kapitalisten einen solchen Gottesdienst feiern, so plausibel ist dieser Ritus, wenn man die gottesdienstähnlichen Gesänge hört.

Premiere: 18.10.2019, besuchte Vorstellung: 01.11.2019, noch bis zum 01.12.2019

Besetzung:
Dalila: Ramona Zaharia
Samson: Michael Weinius
Oberpriester des Dagon: Simon Neal
Abimélech: Luke Stoker
Ein alter Hebräer: Sami Luttinen
Kriegsbote: Luis Fernando Piedra
1. Philister: David Fischer
2. Philister: Dmitri Vargin

Chor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker

Musikalische Leitung: Marie Jacquot
Inszenierung: Joan Anton Rechi
Bühne: Gabriel Insignares
Kostüme: Merce Paloma
Chorleitung: Gerhard Michalski
Licht: Volker Weinhart
Dramaturgie: Anna Grundmeier