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05.06.2023 – Aribert Reimann: "Bernarda Albas Haus" in Gelsenkirchen

Stand: 05.06.2023, 09:30 Uhr

Es ist ein Stück über die Brutalität von Frauen, besonders von zwei Frauen, der von Mutter Bernarda Alba und von Martirio, ihrer zweitjüngsten Tochter. Die Mutter, in ihrer Härte und Unnachgiebigkeit eindringlich dargestellt von Almuth Herbst, terrorisiert ihre fünf Töchter, indem sie sie in ihr Haus förmlich einsperrt und den Mantel des Schweigens über alles hüllt, was das Ansehen im Dorf beschädigen könnte. Martirio, der Soyoon Lee mit ihrem quirligen Koloratursopran eine Art von erregter unbedarfter Gemeinheit verleiht, gönnt ihrer Schwester Adela nicht das Liebesabenteuer mit Pepe el Romano, der eigentlich der Bräutigam der ältesten Schwester Angustias ist, und treibt sie in den Selbstmord.

Alles sei Realität, was hier in einem spanischen Dorf der 1930er-Jahre kurz vor Beginn des Bürgerkrieges gezeigt werde, sagte Federico García Lorca zu seinem Drama, dessen deutsche Übersetzung Aribert Reimann vertonte und 2000 an der Münchner Staatsoper herausbrachte. Danach ist das Stück nur zweimal nachgespielt worden, bis zu der aktuellen Produktion am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier.

Reimann fängt den dokumentarischen Realismus Lorcas in einer eigentümlichen Weise ein. Da ist zunächst ein Orchester in einer sehr spezifischen Besetzung: zwölf Celli, vier präparierte Klaviere, Klarinetten, Flöten und Blech. Diese Instrumente spielen keine Motive oder Melodien sondern bilden den kratzenden, schrillen, aufgeregten oder auch sedierenden Hintergrund aller Aktionen, als eine Art von nonverbalem Realismus. Darüber legt sich exaltierter, kunstvoll schreiender Gesang der Frauen, in den alle ihre Sprechpassagen münden. Das Schreien der Frauen, das an mehreren Stellen sogar als reine Vokalisen ohne Text zu hören ist, ist dann eine Art von emotionalem Realismus. Das alles zeigt der Dirigent Johannes Harneit in faszinierend präziser, zeichenhafter, fast fotografischer Genauigkeit.

Und der Regisseur Dietrich W. Hilsdorf agiert hier einmal mehr als ein Meister des psychologischen Spiels, wie er die neun Frauen in immer neuen Konstellationen gruppiert. Dazu hat ihm der Bühnenbilder Dieter Richter in eigenen Art von Realismus eine Art Triptychon geschaffen: links der Gesinderaum mit kleinem Tisch und kahler Wand, oben ein Balkon, rechts ein großer Tisch, in einem Zimmer, das mit allerlei Attributen dörflichen Wohlstandes ausgestattet ist, aber auch unwohnliche Düsterkeit ausstrahlt.

Bühnenbild von Dieter Richter zu „Bernarda Albas Haus“ von Aribert Reimann am Musiktheater im Revier

Bühnenbild von Dieter Richter zu „Bernarda Albas Haus“ von Aribert Reimann am Musiktheater im Revier

Dort werden die Töchter von der Mutter förmlich an die Wand gestellt. Dann wieder bewegt sich die intrigante Martirio wie eine Schlage um Adela, die ihrerseits die Vision der eigenen Hinrichtung erlebt durch eine schemenhafte, an Goya erinnernde Videoeinspielungen. Katherine Allen verkörpert sie treffenderweise als einzige Rolle fast wie eine echte Opernfigur. Die selbstbewusste Magd La Poncia (Sabine Hogrefe) ist so etwas wie das intellektuelle Gewissen in dem klaustrophobischen dörflichen Frauenwahn, den keine mehr als die 80jährige Großmutter verkörpert, die sich noch fruchtbar wähnt und von Mechthild Großmann in einem irren, orchestral grundierten Delirium gesprochen wird.

Aribert Reimanns Oper verlangt von den Sängerinnen und den Instrumentalisten große Virtuosität. Aber es sind auch dankbare Rollen, weil Reimanns Musiksprache nah an den Darstellerinnen bleibt und deren musikalische Entfaltungsmöglichkeiten im Blick hat. Dabei wirkt das Stück modern, auch heute noch geradezu avanciert, und von einer zwingenden Dramaturgie.

Intendant Michael Schulz hat mit dieser maßstabsetzen Produktion gezeigt, dass das Nachspielen von guten Stücken oft besser ist als irgendeines uraufzuführen nur um der Novität wegen.

Besuchte Vorstellung: 04.06.2022, Premiere: 06.05.2023 noch am 10. und 24.06.2023

Besetzung:
Bernarda Alba (60 Jahre): Almuth Herbst
Maria Josefa (80 Jahre): Mechthild Großmann
Angustias (39 Jahre): Lina Hoffmann
Magdalena (30 Jahre): Bele Kumberger
Amelia (27 Jahre): Margot Genet
Martirio (24 Jahre): Soyoon Lee
Adela (20 Jahre): Katherine Allen
La Poncia (60 Jahre): Sabine Hogrefe
Violeta, eine Magd (50 Jahre): Anke Sieloff

Opernchor des MiR
Neue Philharmonie Westfalen

Musikalische Leitung: Johannes Harneit
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Nicola Reichert
Chor: Alexander Eberle
Ton: Jörg Debbert
Video: Gregor Eisenmann
Licht: Mario Turco
Dramaturgie: Anna-Maria Polke