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22.10.2018 – Puccini, "Turandot" in Köln

Stand: 22.10.2018, 13:50 Uhr

Es kann süchtig machen, wenn man von einem echten spinto-Tenor eine Arie um die andere mit den Ohren aufsaugt. Die Gelegenheit dazu verschaffte der Deutsch-Brasilianer Martin Muehle in einer ausverkauften Sonntagnachmittag-Aufführung in der Kölner Oper im Staatenhaus. Sein Tenor glänzt wie Metall, und seine Kraft will einfach nicht nachlassen. Und dafür die Rolle des Prinzen Calaf in Puccinis letzte Oper "Turandot" das ideale Terrain.

Sein erster Auftritt mit dem frei jauchzenden "Padre! Mio Padre!", als er seinem Vater wieder begegnet, sein melancholisch beschwichtigendes "Non piangere ,Liù", dann sein trotziger dreimaliger Ausruf "Turandot", als er sich nicht davon abbringen lässt, um die sadistische Prinzessin zu werben. Und natürlich die Arie "Nessun dorma", die eigentlich nachdenklich mit den Abwärtsbewegungen beginnt und sich erst allmählich zum heldischen, forcierten Ausdruck bei "Vincerò" und zum hohen h steigert: all das sind kurze, aber höchst wirkungsvolle Tenor-Passagen, bei denen - trotz gelegentlicher lyrischer und nachdenklicher Sätze – immer ein kraftvolles, vorwärts gerichtetes Singen gefordert ist. Bei Martin Muehle kamen Präsenz, elegante Stimmführung und klarste Diktion dazu.

Und doch fehlte bei seinen Auftritten etwas, obwohl er in dieser Vorstellung mit Sicherheit das größte stimmliche Potenzial von allen zeigte. Sein Gesang war nicht eingebettet in den Orchesterstrom, konnte es nicht, weil die Musiker des Gürzenich-Orchesters unter Claude Schnitzler im Staatenhaus ganz weit hinter der Bühne saßen. Das "Vincerò" bezieht ja seine Wirkung nicht allein durch die schiere Höhe, sondern weil das Orchester einen machtvollen Strom aufbaut, über dem sich die Stimme einsam abheben kann. Das ist nicht nur eine klangliche Einhüllung, sondern eher eine magnetische Aufladung, die die Stimme erst richtig vibrieren lässt. Dieser Effekt des Stützens und Stimulierens fehlte bei der Aufführung im Staatenhaus völlig.

Bei den anderen Hauptpartien, der Sklavin Liù und bei der Titelfigur Turandot, wirkte sich dieses Manko, das auch eines der Balance ist, weniger aus. Ivana Rusko konnte ihren schönen lyrischen Sopran in "Signore, ascolta!", jener chinesischen Volkmelodie, ganz alleine sanft schwingen lassen, auch wenn man sich mit ihren Tönen natürlich gerne in das sanfte Streicherbett gelegt und von den glitzernden Harfenklängen hätte streicheln lassen wollen. Bei Turandot selbst hat das Orchester auch nicht so sehr gefehlt. Ihr fatalistisches "In questa reggia" und ihr medeahaftes Aufrufen der drei Rätsel formte Erika Sunnegårdh überzeugend aus ihre Stimme allein, in einer Mischung aus schneidender Schärfe und durchdringender Klarheit.

Die drei Minister (Wolfgang Stefan Schwaiger, Martin Koch, John Heuzenroeder (nicht i.d. besuchten Vorstellung.) in Puccinis "Turandot" an der Oper Köln

Die drei Minister in Puccinis "Turandot" an der Oper Köln

Brillant textverständlich, beweglich und klanglich aufeinander abgestimmt zelebrierten die drei Minister Ping, Pang, Pong ihre Debatte über das Dasein am Hofe Turandots, das sie zu einem charakterlosen Opportunismus nötigt. Das klang bei Wolfgang Stefan Schwaiger, Jeongki Cho und Martin Koch (auch hier wegen des fernen Orchesters) über weite Strecken fast wie ein barockes Madrigal.

Ein Gesangsanalytiker profitierte von dieser Vorstellung aber ungemein. In der Reihe 2 sitzend, war er so nah an den Stimmen wie der Korrepetitor in der Klavierprobe.

Das Ganze fand in der zirkusartigen, opulent kunstgewerblichen Inszenierung von Lydia Steier statt, an deren Wirkung die Kostümbildern in Ursula Kudrna den größten Anteil hatte, vor allem durch die drei Minister, die die Szene beherrschten. Sie steckten in Gestellen, über die ihre schwarzen Kutten hingen und wurden wie überdimensionierte Figuren aus dem Kasperltheater umhergeschoben.

Besuchte Vorstellung: 21.10.2018, Premiere: 02.04.2017, in dieser Spielzeit noch bis zum 07.11.2018

Turandot: Erika Sunnegårdh
Altoum: Alexander Fedin
Timur: Lucas Singer
Calaf: Martin Muehle
Liù: Ivana Rusko
Ping: Wolfgang Stefan Schwaiger
Pang: Jeongki Cho
Pong: Martin Koch
Ein Mandarin: Michael Mrosek

Chor und Extrachor der Oper Köln
Mädchen und Knaben des Kölner Domchores
Gürzenich-Orchester Köln

Musikalische Leitung: Claude Schnitzler
Inszenierung: Lydia Steier
Bühne & Video: fettFilm (Momme Hinrichs, Torge Møller)
Kostüme: Ursula Kudrna
Licht: Andreas Grüter
Chorleitung: Rustam Samedov
Dramaturgie: Georg Kehren