„Galop infernal“ in Offenbachs „Orphée aux enfers“, Salzburger Festspiele 2019

15.08.2019 – Offenbach, „Orphée aux enfers“ bei den Salzburger Festspielen 2019

Stand: 15.08.2019, 10:40 Uhr

Endlich ein Offenbach ohne bemühte zeitgeschichtliche Fingerzeige. Der Regisseur Barrie Kosky würde heftig widersprechen. Wird doch der Mythos aus der Perspektive einer Frau erzählt, aus der Euridikes, die sich selbstbewusst vom dem Fiedler Orpheus trennt und lieber in die Unterwelt – oder Halbwelt – geht, um dort ein Leben als Bacchantin zu führen, d.h. in Selbstbestimmung und nur ihren eigenen Neigungen verpflichtet.

Nein, diese Salzburger Produktion einer Offenbach-Operette ist pure Unterhaltung. Man darf sich ohne schlechtes Gewissen unter Niveau amüsieren, weil Choreographie, Sprache und Bühnenbild in perfektem Timing, opulenter Bebilderung und komischer Derbheit abschnurren. Wann hat man den berühmten „Galop infernal“ schon einmal mit einer solchen Bilderorgie aus grellem Pink-Tütüs gesehen, unter denen sich glitzernde weibliche und männliche Swarovski-Geschlechtsteile in unkorrekter Ausgewogenheiten zeigen. Oder die Szene, als der gesamte Olymp einen Ausflug in die Unterwelt macht und sich das Personal zur Hymne an Jupiter erst in nordkoreanischer Ordnung aufstellt, um Sekunden später sich in ein kreischendes dionysisch-orgiastisches, aber genau auf die Musik entgeisterndes Ensemble zu verlieren.

Da gibt es wirklich keinen Hintersinn, nur die Lust am Frivolen, am Hyperventilieren und an der Schamlosigkeit.

Der eine Star an dieser Aufführung ist die gemischt-geschlechtliche Ballettkompagnie unter der Anleitung von Otto Pichler. Der andere Star ist der Schauspieler Max Hopp. Eigentlich ist ihm nur die Rolle des tölpeligen John Styx zugedacht, der der Euridike im Hades, solange Pluto abwesend ist, zu nahe zu kommen versucht. Barrie Kosky lässt ihn aber alle deutschen Dialoge des aus zwölf Sprachnationen kommenden Ensembles sprechen. Was nicht nur eine kluge pragmatische Entscheidung ist, sondern der ganzen Produktion eine auf der Opernbühne noch nie gesehene Art von Situationskomik verleiht. Da bewegen Orpheus, Euridike, Jupiter, Pluto und alle anderen ihren Lippen synchron zu Max Hopps Sprachakrobatik, zu der er auch gleich noch die passenden Geräusche, Türknarzen oder Hoppeln über den Bühnenboden mitliefert. Max Hopp ist die ganze Zeit auf der Bühne, schaut irgendwie melancholisch in das Rund und nimmt seine Sache sehr ernst, so als sei er der Autor.

Bert Brecht hätte wohl gesagt, das sei die Distanz des epischen Theaters. Hier ist es die reine Lust an Situationskomik. Denn diese Dialoge sind alles andere als intellektuell oder irgendwie politisch aufgeladen, sondern so drall wie Kathryn Lewek als Euridike aussieht, die in ihrem schwarzen Negligee wie eine Puppe wirkt. Die große Leistung von Barrie Kosky ist dabei, die Schauspieler in einer Mimik und Gestik zu führen, die jedem Stummfilm zur Ehre gereicht hätte.

Dass diese Puppe Euridike den Sieg davon trägt, bzw. endlich als Bacchantin einer ungezügelten Zukunft entgegenblickt, und der gestrengen öffentlichen Meinung in Person von Anne Sofie von Otter im schwedischen Priesterinnenkostüm letztlich die Stirn geboten hat, geht im turbulenten Finale fast unter. Ob Barrie Kosky wusste, dass das schwedische Königspaar unter den Premierenzuschauern weilte?

Was die Musik betrifft, hatte man es mit Ausnahme von Kathryn Lewek, kaum mit überragenden Stimmen zu tun, aber schauspielerisch war alles exquisit. Die Wiener Philharmoniker unter Enrique Mazzola lieferten eine sehr respektable Kostprobe im leichten Genre. Das war aber nicht die Hauptsache an diesem umjubelten Abend.

Premiere: 14.08.2019

Besetzung:
L’Opinion publique: Anne Sofie von Otter
John Styx: Max Hopp
Eurydice: Kathryn Lewek
Orphée: Joel Prieto
Aristée/Pluto: Marcel Beekman
Cupidon: Nadine Weissmann
Vénus: Lea Desandre
Jupiter: Martin Winkler
Junon: Frances Pappas
Mars: Rafał Pawnuk
Diane: Vasilisa Berzhanskaya
Mercure: Peter Renz

12 Tänzerinnen und Tänzer
Vocalconsort Berlin
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Rufus Didwiszus
Licht: Franck Evin
Choreographie: Otto Pichler
Choreinstudierung: David Cavelius
Dramaturgie: Susanna Goldberg