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11.06.2018 – Münchner Biennale 2018 , Festival für neues Musiktheater

Stand: 11.06.2018, 13:50 Uhr

15 Uraufführungen in 11 Tagen und jede fast täglich wiederholt: macht an die 150 Veranstaltungen inklusive Vorträge und Diskussionen, und alles das an 11 Spielorten der Münchner Innenstadt, dazu eine Aufführung am Starnberger See und eine, für die der Treffpunkt jedes Mal neu ausgemacht wird.

Das ist der Rahmen der diesjährigen Münchner Biennale, Festival für Neues Musiktheater. 5 von den 15 Werken konnte ich an 2 Tagen sehen. Mehr war für eine Person terminlich, logistisch und konditionell nicht drin.

Mein Fazit: Das Musiktheater, wie es die Münchner Biennale zeigt, hat mit Oper, auch mit zeitgenössischer Oper, wie man sie an den richtigen Bühnen erlebt, nichts zu tun. Das war 1988, als Hans Werner Henze die Biennale gründete, noch anders. Da gab es Werke mit einem vertonten Libretto und einer Theaterhandlung, z. B. bei Adriana Hölszkys "Bremer Freiheit", dem vielleicht wichtigsten Werk, das über die Jahre für dieses Festival entstanden ist und schon bei der ersten Biennale uraufgeführt wurde.

Vom klassisch-modernen Musiktheater entfernte sich schon Peter Ruzicka, der die Biennale von 1996 bis 2014 leitete und die neuen Kuratoren Daniel Ott und Manos Tsangaris - seit 2016 im Amt - sowieso.

Privatsachen

Sich von der Oper entfernen: das geschah fast schon zwangsläufig durch das Motto des Festivals: "Privatsache" und durch die Kleinteiligkeit des Festivals. Ein Stück nannte sich "Nachlassversteigerung" und fand in einer offenbar freien 4-Zimmerwohnung im Univiertel statt. Hier wurden die Utensilien eines Künstlers angepriesen, zunächst ganz seriös, dann immer geräuschhafter und turbulenter, bis kein Zweifel mehr an der Inszenierung der ganzen Aktion bestand.

Der Auktionator bei der Arbeit in "Nachlassversteigerung" von Frederik Neyrinck, Isabelle Kranabetter und Sarah Hoemske

Der Auktionator bei der Arbeit in "Nachlassversteigerung" von Frederik Neyrinck, Isabelle Kranabetter und Sarah Hoemske

Dann wurde man aus Wohnung heraus komplimentiert und verfolgte vom Innenhof aus, wie einer der Akteure vom Fenster aus Vokalisen von sich gab, ein zweiter auf einem Kontrabass schabte und die dritte auf dem Saxofon blies. Dazu an die Hausmauer projiziert die Daten jüngerer Weltkatastrophen. Eine nette Idee, wie der private Raum theatralisiert wurde, aber musikalisch unbedeutend.

Offenbar gar nicht vorhanden war ein musikalischer Gestaltungswille bei "Interdictor". In einem abgedunkelten Raum der ehrwürdigen Villa Stuck ist ein Zelt aufgebaut, das eine Raumkapsel darstellen soll. Jemand hantiert rum und zieht sich einen Raumanzug an und schleicht von dannen. Aus Lautsprechern hört man eine Stunde lang Krächzen und Rauschen, sonst nichts, wirklich nichts.

Christian Smith als Astronaut in "Interdictor" von Marek Poliks

Christian Smith als Astronaut in "Interdictor" von Marek Poliks

Kurzopern in der Reaktorhalle

Eine dagegen großformatige Musiktheaterproduktion fand unter dem Titel "Liminal Space" in der sogenannten Reaktorhalle statt. Dort wollte man den Fünfzigerjahren mitten in der Stadt einen Atomreaktor installieren. Heute ist es eine Spielstätte der Musikhochschule.

"Liminal Space" - 7 Musiktheaterminiaturen in der Reaktorhalle München

"Liminal Space" - 7 Musiktheaterminiaturen in der Reaktorhalle München

In "Liminal Space" treten 20 Gesangsstudierende in 60 Partien von 7 kleinen Stücken von Münchner Kompositionsstudenten auf. Es geht um brasilianische Karnevalseindrücke, um eine Chatkonversation, um das Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft oder um eine oratorische Szene, die Robin Becker im Hugo-Distler-Stil geschrieben hat, wo ein Narr auf eine traumatisierte Menschenmenge trifft. Für eine Hochschulproduktion war das alles ziemlich ambitioniert und handwerklich gekonnt, auch wenn der Komponist Alexander Mathewson virtuos einen Stilmix anrührt, in dem Rock und Musical auf den normalen Avantgardetonfall treffen. Oder Felix Bönigk eine große Soloszene für eine Sopranistin schreibt, die in ihrer sprachnahen Vertonung Monteverdis recitar cantando verinnerlicht zu haben scheint. Vor allem aber wurden die 7 Stücke von „Liminal Space“ von den Sängern auf so hohem Niveau dargeboten, dass man sie problemlos an ein richtiges Opernhaus verlagern könnte.

Ein verschollener Komponist

"Ein Porträt des Künstlers als Toter" ist eine anrührende Reise des Musikers und Schauspielers Daniele Pintaudi nach Argentinien, wo er den Spuren eines von der Militärdiktatur vermutlich entführten Komponisten nachspürt, sich in dessen Appartement begibt, das scheinbar über dreißig Jahre unverändert geblieben ist und sich dabei fragt, ob er unbotmäßig in die Privatsphäre des Verschollenen eindringt oder vielmehr dessen Künstlertum in einem anderen Körper annimmt.

Daniele Pintaudi im Appartement des verschleppten Komponisten in "Ein Porträt des Künstlers als Toter" von Franco Bridarolli und Davide Carnevali

Daniele Pintaudi im Appartement des verschleppten Komponisten in "Ein Porträt des Künstlers als Toter" von Franco Bridarolli und Davide Carnevali

Man folgt diesen Schilderungen wie in einer Kriminalgeschichte und wird von Pintaudi als Zeitzeuge regelrecht in Anspruch genommen. Aber auch hier wenig Musik, nur ab und zu expressionistische Klavierklänge, wenn Pintaudi aus den umherliegenden Noten des Verschollenen spielt.

Postkarten aus dem Konzentrationslager

Bei "Alles klappt" von Ondřej Adámek werden Postkarten und Archivmaterial aus dem Jüdischen Museum Prag von einem Vokalsextett gesungen, das von zwei Schlagzeugern begleitet wird. Das können banale Sätze sein: "Bin gesund" oder "Sind gut angekommen", die aber, weil sie aus dem Konzentrationslager geschrieben wurden, eine andere Bedeutung haben. Dieses Material wird musikalisch überformt, zersplittert, auf die Stimmen verteilt und rhythmisiert, also im besten Sinne vertont. Hier entsteht musikalische Dichte und Kraft, weil Adámek bei allem Konstruktionswillen immer fasslich bleibt und spannende Verlaufskurven kreiert und vor allem die Perkussionisten so einbezieht, dass diese immer wieder selbst zu stimmhaften Beteiligten werden und scheinbar sogar über einen Hauch mehr an Ausdrucksmöglichkeiten verfügen als die Sänger. Der Schwachpunkt war hier die szenische Umsetzung im Münchner Marstall von Katharina Schmitt, von der auch das Libretto stammt, die eher wie ein Konzert mit drei großen Kisten als Requisiten wirkte und weniger als eine szenische Handlung.

"Alles klappt" von Ondřej Adámek im Münchner Marstall

"Alles klappt" von Ondřej Adámek im Münchner Marstall

Eine Münchner Stadtperformance

Die Münchner Biennale von Ott und Tsangaris glich insgesamt einem Puzzlespiel der Ansätze, die Konzeptionen dominierten die Kompositionen, in der schieren Menge der Hervorbringungen von oft bedenklich niedrigem Niveau waren singuläre Werke, oder gar zu sprechen von Repertoirestücken, nicht vorhanden oder nicht zu entdecken. Vielleicht kam es darauf auch gar nicht an und man betrachtet die Biennale selbst besser als eine Art 11tägige Stadtperformance.

Die Münchner Biennale fand vom 2. – 12.06.2018 statt.

Weitere Aufführungen:
"Alles klappt": ab 18.10.2019 in Basel, Gare du Nord
"Ein Porträt des Künstlers als Toter": vom 28.06 – 08.07.2018 in Berlin Staatsoper unter den Linden
"Nachlassversteigerung": vom 06.-10.02.2019 in Stuttgart, Theaterhaus