Live hören
Jetzt läuft: Peter Tschaikowsky - Schwanensee, op. 20

16.08.2019 – Mozart, „Idomeneo“ bei den Salzburger Festspielen 2019

Stand: 16.08.2019, 12:20 Uhr

Es hat nicht lange gedauert, bis die erste Greta-Thunberg-Oper auf die Bühne gekommen ist, und zwar in Form von Mozarts „Idomeneo“ bei den Salzburger Festspielen in der Regie von Peter Sellars. Sellars hatte auch die Eröffnungsrede der Festspiele gehalten und ein Umdenken gefordert, von der Finanz-Gesellschaft zur Nachhaltigkeits-Gesellschaft, was ihm viel Beifall einbrachte. Künstlerisch fiel sein Appell schwach aus.

„Idomeneo“ spielt auf Kreta. Als Insel ist das für Sellars eine Brennpunkt-Region in punkto Klimakatastrophe, Vermüllung der Meere und Flüchtlingsproblematik. Man sieht auf der Bühne Plastikmüll, allerdings sind die Objekte so überdimensional vergrößert, dass sie wie Kunstobjekte wirken. Man sieht Menschen in gepunkteten Uniformen, von denen man nicht weiß, ob sie zu einer Armee gehören oder als Lagerinsassen gekennzeichnet sind. Sellars interpretiert die Abdankung Idomeneos, der die Götter erzürnt hatte, als einen Generationenwechsel im Sinne von Fridays for Future. Zu dem langen Abschlussballett der Oper wird ein samoischer Tanz gezeigt, also von dort, wo der Klimawandel heute schon spürbar ist.

Paula Murrihy (Idamante) und Russell Thomas (Idomeneo) in Mozarts “Idomeneo”

Paula Murrihy (Idamante) und Russell Thomas (Idomeneo) in Mozarts “Idomeneo”

Die Klimakatastrophe bleibt in der Oper aber vorerst noch aus. Denn Mozarts „Idomeneo“ ist ein Vierpersonenstück ist, in dem es in erster Linie um den Gegensatz von gesellschaftlichen Zwängen und persönlicher Verbundenheit geht. Elettra will Idamante unbedingt zurückgewinnen, Idomeneo seinen Sohn, den er eigentlich opfern müsste, unbedingt schützen, Idamante ist verstört, aber opferbereit und hat ein Auge auf Ilia geworfen, die dem Volk der kriegsgefangenen Troer zugehört. Diese Verwicklungen lassen sich mit Klima, Flüchtlingen und Umwelt nicht drei Stunden zusammenbringen. Deswegen wirkt die Inszenierung über weite Strecke unverbindlich harmlos.

Ganz anders sieht es auf der musikalischen Seite aus. Der Dirigent Teodor Currentzis greift schon wie bei „La clemenza di Tito“ vor zwei Jahren in die Partitur ein. Die Rezitative werden weitgehend gestrichen, und es wird eine Nummer aus Mozarts Bühnenmusik „Thamos“ hinzugefügt sowie die vom Hammerklavier begleitete Arie „Non temer, amato bene“ für Idamante. Diese Bearbeitung des Ablaufs der Oper setzt Currentzis auch im Vertikalen fort, im Klang. Die Noten werden zwar nicht verändert, aber über weite Strecken so gespielt, dass man die Musik nicht wiedererkennt. Diese Prozedur, Bekanntes unbekannt erscheinen zu lassen, ist seit jeher eine Methode der historischen Aufführungspraxis. Aber es muss dabei auch einen Erkenntnisgewinn geben. Und da bewegt sich Currentzis auf dünnem Eis. Zum Beispiel in der Arie der Ilia „Se il padre perdei“. Hier werden die stimmführenden Streicher in der Lautstärke bis zur Wahrnehmungsschwelle abgesenkt. Man hört nur noch den Tonsatz der Holzbläser, Fagotte, Flöten, Oboen, Hörner. Den Bläsersatz hat Mozart hier zweifellos überaus interessant gestaltet, aber durch Currentzis Überakzentuierung ist der verbindende musikalische Kitt verloren gegangen. Nur wenn man das Stück kennt, kann man sich das Fehlende vorstellen, gewissermaßen zurechthören.

Über weiter Stecken steckte in dem, was man in der Salzburger Felsenreitschule hörte, so viel Currentzis wie Mozart, und das ist für einen Operndirigenten nicht unbedingt ein Kompliment.

Gesungen werden die Rollen der Elettra von Nicole Chevalier und Ilia von Ying Fang überragend, des Idamante von Paula Murrihy unauffällig und des Idomeneo von Russell Thomas mit deutlicher Überforderung.

Premiere: 27.07.2019, besuchte Vorstellung: 15.08.2019

Besetzung:
Idomeneo: Russel Thomas
Idamante: Paula Murrihy
Ilia: Ying Fang
Elettra: Nicole Chevalier
Arbace: Levy Sekgapane
Gran Sacerdote: Issachah Savage
Nettuno/La voce: Jonathan Lemalu
Tänzer: Brittne Mahealani, Arikitau Tentau

musicAeterna Choir of Perm Opera
Freiburger Barockorchester

Musikalische Leitung: Teodor Currentzis
Inszenierung: Peter Sellars
Bühne: George Tsypin
Licht: James F. Ingalls
Choreographie: Lemi Ponifasio
Choreinstudierung: Vitaly Polonsky
Dramaturgie: Antonio Cuenca Ruiz