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21.09.2019 - Mozart, "Die Zauberflöte" an der Berliner Staatsoper

Stand: 21.09.2019, 12:25 Uhr

„Die Zauberflöte“ ist die Nummer eins oder zwei an den deutschen Opernhäusern und die Kinderoper par excellence. Der Weg von Tamino und Pamina vom Mutterreich der Königin der Nacht in den Weisheitsbezirk Sarastros ist eine Parabel über das Erwachsenwerden. Da liegt es nahe, das Stück aus einer Perspektive der Kinder zu erzählen, anstatt als psychologische oder gar politische Analyse. Yuval Sharon, der derzeitige „Lohengrin“-Regisseur der Bayreuther Festspiele, bemüht an der Berliner Staatsoper das Puppentheater.

Auch andere Regisseure haben in der letzten Zeit den Kinderblickwinkel eingenommen: Barrie Kosky in seiner Erfolgsinszenierung an der Komischen Oper Berlin durch Stummfilm- und Cartoonästhetik, Lydia Steier letztes Jahr bei den Salzburger Festspielen hat in Person von Klaus Maria Brandauer einen Märchenonkel eingeführt, der den drei Knaben die Geschichte erzählt.

Das Puppentheater ist per se ja kein Kindertheater, sondern gehört, wie das lesenswerte Programmbuch detailreich ausführt, zu den ältesten Theaterformen überhaupt. Sharons Inszenierung kommt auch nicht ohne den Appell aus, sich das Staunen der Kinder wieder anzueignen und die leblosen Puppen beim Betrachten mit Leben zu erfüllen.

Mozart, Die Zauberflöte, Berliner Staatsoper

Julian Prégardien als Tamino

Tamino und Pamina treten in merkwürdigen Playmobil-Boxkampf-Kostümen mit übergroßen roten Schuhen auf und werden an grellgelben Seilen scheinbar geführt, Monostatos ist ein schwarzer Aufziehroboter, die drei Damen in einen Fleischberg mit drei Brüsten gezwängt, die drei Knaben sitzen in bunten Raketen, und Sarastro ist ein Papppriester. Das ist alles unglaublich bildreich und phantasievoll von Mimi Lien auf der Bühne und Walter Van Beirendonck mit den Kostümen gestaltet.

Nur Papageno darf er selbst sein. Der Schauspieler Florian Teichtmeister spielt ohne Leinen ganz aus sich selbst heraus. Er singt auch wie ein Schauspieler, was er übrigens sehr gut und genau tut.

Puppen haben keine Stimme, und deswegen kam Sharon auf die Idee, die langen Dialoge aus dem Off von Kindern sprechen zu lassen, die sich dann und wann auch über das altertümliche Deutsch mokieren. Der vorgetragene kindliche Ernst aber wirkte auf die Dauer dann doch eher wie ein kindliches Plappern.

Interessant alles. Dennoch muss der Versuch, die Darsteller zu animieren, sich wie Puppen zu bewegen, wohl schief gehen. Was Kleist, der mit seinem Essay über das Puppentheater zitiert wird, den Puppen zuschrieb, dass sie, weil sie der Schwerkraft entbunden und immer in ihrem Schwerpunkt, ihrer Mitte sind, und gerade dadurch ihre Grazie gewinnen, kann nicht funktionieren, wenn richtige Darsteller nur versuchen, Puppen zu sein.

Als erwachsener Zuschauer ertappt man sich freilich dabei, vielleicht doch nur nicht genügend kindliche Phantasie aufzubringen, um richtig mitzugehen. Richtig mitgehen kann man immer dann, wenn richtig und zu Herzen gehend gesungen wird, von Julian Prégardien als Tamino in seiner sehnsuchtsvollen, fast traurigen Bildnisarie oder Serena Sáenz als Pamina in ihrer Verzweiflungsarie "Ach ich fühls".

Ein witziges Detail, sei nicht verschwiegen. Wenn die beiden in die Feuer- und Wasserprüfung treten, gelangen in eine Küche und bereiten das Essen. Erwachsen werden heißt hier wohl die Aussicht auf eine kleinbürgerliche Existenz.

Bis fast zum Schluss der Oper hat es gedauert, bis man auch musikalisch befriedigt wurde. Die junge mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra, die auch schon die Premiere im Februar betreute, hatte keinen guten Abend, weil sie das, was oben auf der Bühne und unten im Graben passierte, oft gar nicht zusammenbrachte. Wie kann man in der Königinarie "Der Hölle Rachen…" so schleppen lassen, dass die Koloraturen von Nicola Proksch trotz blitzsauberer Intonation wie durchbuchstabiert wirkten? Und wieso fand das Orchester erst bei Sarastros "In diesen heil'gen Hallen" zusammen mit Jan Martiník zu einer schön phrasierten Linie. Lag es daran, dass der Sänger in dieser Nummer einmal in seiner natürlichen Gestalt an den Bühnenrand treten durfte, während sonst die Puppenmechanik ein gemeinsames Musizieren behinderte? Oder liegt das nur an der Wahrnehmung des immer noch zur Phantasie unbegabten Rezensenten?

Besuchte Vorstellung: 20.09.2019, Premiere: 17.02.2019

Besetzung:
Sarastro: Jan Martiník
Tamino: Julian Prégardien
Pamina: Serena Sáenz
Papageno: Florian Teichtmeister
Papagena: Álfheiður Erla
Königin der Nacht: Nicola Proksch
Sprecher: David Oštrek
Monostatos: Florian Hoffmann
Drei Damen: Adriane Queiroz, Natalia Skrycka, Constance Heller
Erster Geharnischter: Jun-Sang Han
Zweiter Geharnischter: Frederic Jost
Erster Priester: Andrés Moreno García
Zweiter Priester: David Oštrek
Drei Knaben: Solisten des Tölzer Knabenchores

Staatsoperchor
Staatskapelle Berlin

Musikalische Leitung: Alondra de la Parra
Inszenierung: Yuval Sharon
Bühnenbild: Mimi Lien
Kostüme: Walter Van Beirendonck
Licht: Reinhard Traub
Videodesign: Hannah Wasileski
Sounddesign: Markus Böhm
Chor: Anna Milukova
Dramaturgie: Krystian Lada, Benjamin Wentig