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18.03.2019 - Ein Wochenende an der Metropolitan Opera New York: „Rigoletto“, „Falstaff“ und „Samson et Dalila“

Stand: 18.03.2019, 13:50 Uhr

Wenn die New Yorker Metropolitan Opera Regisseure engagiert, weiß man nie genau, ob Ihnen nahegelegt wurde, das Bühnengeschehen möglichst populär zu gestalten, sozusagen den Musical-Theatern auf der 42nd Street nachzueifern, oder ob es um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Stoff geht, wie man sie an den Bühnen in Deutschland kennt. Am vorigen Märzwochenende konnte man beides beobachten. Da stand die bunte „Rigoletto“-Inszenierung von Michael Mayer auf dem Spielplan, die das Geschehen in ein Casino in Las Vegas verlegt hatte, die intelligente und geschmackvolle „Falstaff“-Inszenierung von Robert Carsen, die im England der 50er-Jahre spielt, und "Samson und Dalila" von Camille Saint-Saens, bei der man glaubte, in eine Bühnenshow mit orientalischem Glitzerdekor versetzt zu sein.

Für die Neuproduktion von "Samson et Dalila" hat der Bühnenbildner Alexander Dodge für jeden der drei Akte monumentale Konstruktionen ersonnen. Der Platz in der Stadt Gaza, wo die geknechteten Hebräer in grauen Kostümen sich versammeln, wird über eine lange Treppe erreicht, über die die Protagonisten wie in einer Fernsehshow herabschreiten. Der zweite Akt, Dalilas Haus, ist eine Gitterkonstruktion, die in blau-lila-rote Farben getaucht ist mit einer kreisrunden Öffnung oben, in der sie lichtumkränzt erscheint und von der Kostümbildnerin Linda Cho in ein opulentes, pupurfarbenes, brokatbesetzes Kleid gehüllt und mit einer tiefschwarzen,rückenlangen, gelockten Perücke ausgestattet wird, so dass Anita Rachvelishvili in ihren fülligen, aber nicht unvorteilhaften Maßen wie eine unnahbare Göttin erscheint. Im dritten, dem Tempelakt, sieht man eine 10 Meter hohe durchlöcherte metallene Skulptur, die den Gott Dagon der Philister darstellt, in der sich die Tänzer des Bacchanals in lasziven Bewegungen verklammern. Wenn Samson am Schluss den Tempel zum Einsturz bringt, hätte man sich wenigsten eine krachende Schlussverwandlung des Bühnenbilds gewünscht, stattdessen nur ein grelles Licht von hinten.

Anita Rachvelishvili als Dalila "Samson und  Dalila" von Camille Saint-Saëns

Anita Rachvelishvili als Dalila

Die Regie von Darko Tresnak ist weitgehend belanglos. Die Personen sind Staffage für das Setting. Und Anita Rachvelishvili singt ganz anders, als sie ausstaffiert ist, nämlich in einer intensiven Intimität. Mit einem auch in leisen Tönen runden Stimmstrom wendet sie sich an Samson, den sie offenbar wirklich liebt, anstattt ihn nur aus Racheglüsten zu verführen.

In diesen leisen Passagen schmiegt sich das Orchester unter dem Dirigenten Mark Elder wie eine Seidendecke um ihre Stimme, während es sonst beim polternden Oberpriester von Laurent Naouri und auch bei Samsons Volksrede im ersten Akt gehörig rumpelt. Gregory Kunde war für Aleksandrs Antonenko eingesprungen. Er überzeugte dann erst im dritten Akt, wo er den geschlagenen und geblendeten Samson als eine gebrochene Person glaubhaft verkörperte.

Ganz anders die „Falstaff“-Inszenierung von Robert Carsen, die 2013 Premiere hatte und vorher schon in London zu sehen war. Gegenüber dem Pseudo-Bombast bei „Samson und Dalila“, der obwohl ganz neu von Anfang an wie abgestanden wirkt, hat dieser „Falstaff“ über die Jahre nichts an Frische eingebüßt. Aufwändig und detailreich gestaltet ist die Bühne auch hier. Wenn sich der Vorhang öffnet, kommt sofort der erste Überraschungseffekt. Man ist im Schlafzimmer von Falstaff mit einem riesengroßen Bett, in dem er wie Ludwig XIV. thront, seine beiden Diener wuseln herum wie Figuren aus Gullivers Reisen. Aus diesem Bett steigt der massige Ambrogio Maestri und steht da in Ganzkörperunterwäsche und singt wenig später sein Credo von der Nutzlosigkeit der Ehrpusselei.

Ambrogio Maestri als Falstaff mit Keith Jameson als Bardolfo und Richard Bernstein als Pistola

Ambrogio Maestri als Falstaff mit Keith Jameson als Bardolfo und Richard Bernstein als Pistola

Ambrogio Maestri ist einfach der ideale Falstaff, er verkörpert ihn auf allen großen Bühnen der Welt. Er ist stimmlich agil, er deklamiert wortgewandt mit Hintersinn, kann aber genauso mit volltönendem Bariton singen. Er ist trotz seiner Körperfülle flink, und das muss er auch sein in dieser temporeichen Inszenierung, in der jedes Detail der Partitur in eine szenische; bewegungsreiche Situationskomik übersetzt ist.

Ein weiterer Überraschungseffekt dieser Inszenierung bzw. der Bühne von Paul Steinberg entsteht in jeder Aufführung immer, wenn sich der Vorhang zum zweiten Bild im zweiten Akt öffnet, in dem das Rendezvous Falstaffs mit Alice stattfindet. Da blickt man in eine riesige Küche im 50er-Jahre-Stil, die so überdimensioniert ist, wie sie sich wohl Emporkömmlinge in der Nachkriegszeit gewünscht hätten. Die Szene ist in Zitron-Töne getaucht, darin die Frauen, die pastellfarbene Kleider anhaben, und Falstaff ist diesmal als Reiter im roten Rock ausstaffiert als letztes Requisit seiner angeblich so stolzen adligen Herkunft. Wie er da erst im Wandschrank, dann im Wäschekorb versteckt wird, läuft alles in spielerischer Leichtigkeit ab, auch als Ford seiner scheinbar untreuen Gattin nachspürt und mit einem Massenaufgebot an Häschern in der Küche erscheint und unter einem Tischtuch lediglich den harmlos tändelnden Fenton mit seiner Nanetta entdeckt.

Man fragt sich ja in jeder „Falstaff“-Aufführung, egal woi sie stattfindet, wie es gelingen kann, den Fettwanst im Wäschekorb über die Fensterbrüstung zu hieven, um ihn ins Wasser zu werfen. In Carsens Inszenierung, stöhnt man förmlich mit den Korbträgern, wie sie sich abmühen.

Das sind diese Details, die diese Aufführung so komisch vergnüglich machen, und das alles ist eingebettet in das geschmackvoll ausgestaltete Dekor.

Und schließlich noch ein weiterer Effekt am Beginn des dritten Akts. Falstaff, wieder in seinem Ganzkörperkostüm, noch ganz gezeichnet von seinem Wasserbad, sitzt in einem Hof, an den ein Stall grenzt, aus dem ein lebendiges Pferd Heu fressend lugt, bzw. ihn mitleidig anschaut. Das Publikum ist jedesmal begeistert und spendet Szenenapplaus.

Der englische Dirigent Richard Farnes, der mit „Falstaff“ sein Debüt an der Met gegeben hat, ist ein Meister der feinen Töne und bringt Verdis Musik in dem weiten Saal des Met-Auditoriums quasi kammermusikalisch zur Entfaltung.

1. Akt von Verdis "Rigoletto" an der Met im Bühnenbild von Christine Jones

1. Akt von Verdis "Rigoletto" an der Met im Bühnenbild von Christine Jones

Eingeleitet wurde dieses Wochenende an der Met am Freitagabend mit „Rigoletto“, eine Produktion des Regisseurs Michael Mayer aus dem Jahr 2013. Der Palast des Herzogs ist hier ein Spielkasino in Las Vegas, gestaltet von der Broadway erfahrenen Bühnenbildnerin Christine Jones. Dieser mosaikhafte Bühnenhorizont aus Leuchtreklamen macht einen gewaltigen Eindruck. Allerdings geht dieser Effekt später schnell verloren. Das Setting am Haus von Rigoletto und auch das des Auftragsmörders Sparafucile ist mehr angedeutet als ausgestaltet. Was aber nicht weiter schlimm ist, weil die schauspielerischen und sängerischen Leistungen stimmen.

Roberto Frontali in der Titelrolle des Rigoletto und Nadine Sierra als seine Tochter Gilda zeigen eine verstörende und anrührende Vater-Tochter-Szene. Er ist ein Doppelcharakter, der überängstliche Vater, der Gilda – vergeblich - vor den Zugriffen der Herzogsgesellschaft bewahren will, obwohl er deren Mechanismen kennt und sie auch bedient. Nadine Sierra zeigt die Gilda ebenfalls mehrschichtig.

Sie ist ihrem Vater sehr zugetan, andererseits zutiefst berührt und gerade nicht schwärmerisch, was ihre Zuneigung zum Herzog anbelangt. Grandios wie Nadine Sierra ihre Arie „Gualtier Maldé“ mit innigem Ton, aber auch in einer reflektierenden Haltung darbietet, unterstützt vom Dirigenten Nicola Luisotti durch eine überaus flexible Tempovariabilität.

Nicht alles, was an der Met stattfindet, entspricht in szenischer Hinsicht den Operntheaterstandards an den Bühnen hierzulande. Peter Gelb, seit bald 13 Jahren dort der Generaldirektor, sagt, sein Hauptziel sei es, die Met möglichst jeden Abend zu füllen, was bei 3800 Plätzen, die dieses größte Opernhaus der Welt bietet, nicht leicht ist und deswegen – was die Optik auf der Bühne anbelangt – schon auch ein breiterer Geschmack bedient werden muss.

Man kann aber immer sicher sein, die besten Sänger dort zu erleben wie den derzeit besten Falstaff Ambrogio Maestri oder junge Sängerinnen wie die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili als Dalila oder eben Nadine Sierra, die man in Deutschland derzeit nur an der Berliner Staatsoper hören kann. Da fällt es schon fast gar nicht mehr auf, wenn ein so elegant singender Tenor wie Francesco Demuro als Herzog und einen Tag später als Fenton im „Falstaff“ sich ohne großes Stargehabe ins Ensemble der Met einfügt oder der großartige österreichische Sänger Günther Groissböck als Alter Hebräer in „Samson et Dalila“, der in New York zur Zeit hauptsächlich wegen seiner Auftritte im „Ring des Nibelungen“ weilt.

Besuchte Vorstellungen: "Rigoletto: 15.03.2019, "Falstaff": 16.03.2019 (13:00 Uhr), "Samson et Dalila" 16.3.2019 (20.00 Uhr)

Besetzungen:

Samson und Dalila:
Dalila: Anita Rachvelishvili
Samson: Gregory Kunde
Hoher Priester: Laurenz Naouri
Abimélech: Tomasz Konieczny
Ein alter Hebräer: Günther Groissböck

Musikalische: Leitung: Sir Mark Elder
Inszenierung: Darko Tresnjak
Bühnenbild: Alexander Dodge
Kostüme: Linda Cho
Licht: Donald Holder
Choreographie: Austin McCormick

Falstaff:
Falstaff: Ambrogio Maestri
Ford:  Juan Jesús Rodríguez

Fenton: Franceso Demuro
Dr. Cajus: Tony Stevenson
Mrs. Alice Ford: Ailyn Pérez
Nanetta: Golda Shultz
Mrs. Quickly: Marie-Nicole Lemieux
Mrs. Meg Page: Jennifer Johnson Cano

Musikalische Leitung: Richard Farnes
Inszenierung: Robert Carsen
Bühnenbild: Paul Steinberg
Kostüme: Brigitte Reiffenstuel
Licht: Robert Carsen, Peter Van Praet

Rigoletto:
Herzog von Mantua: Franceso Demuro
Rigoletto: Roberto Frontali
Gilda: Nadine Sierra
Sparafucile: Štefan Kocán
Maddalena: Ramona Zaharia
Giovanna: Jennifer Roderer
Graf von Monterone: Robert Pomakov
Marullo: Jeongcheol Cha
Borsa: Eduardo Valdes
Graf von Ceprano: Paul Corona
Gräfin von Ceprano: Samantha Hankey

Musikalische Leitung: Nicola Luisotti
Inszenierung: Michael Mayer
Bühnenbild: Christine Jones
Kostüme: Susan Hilferty
Licht: Kevon Adams
Choreographie: Steven Hoggett