30.11.2018 - Leoš Janáček, „Jenufa“ in Wiesbaden

Stand: 30.11.2018, 13:50 Uhr

„Wir sind heute so bequem. Unser Benehmen in den Rollen ist jedoch harsch. Bei meiner Figur ist alle Höflichkeit abgefallen“, sagt Anna Maria Dur, die Darstellerin der alten Buryja in der Wiesbadener Neuproduktion von Janáček „Jenufa“. Das drückt ziemlich genau den Unterschied unserer Welt zu der, die Janáček in „Jenufa“ schildert, aus, zu einem Sozialsystem eines Dorfes in Mähren.

Der Regisseur Ingo Kerkhof, der Bühnenbildner Gisbert Jäkel und die Kostümbildnerin Sonja Albartus haben das wunderbar eingefangen: Das ist eine kleine, aber doch stolze Welt, wie sorgsam das Innere der Häuser gestaltet ist, wie einfach, aber wenig nachlässig die Menschen gekleidet sind. Die Szenerie ist schwarz-weiß mit braunen Sandtönen eingefärbt wie ein altes Sepia-Foto.

Dalia Schaechter als Küsterin und Sabina Cvilak als Jenufa im 2. Akt von Janáčeks Oper „Jenufa“

Dalia Schaechter als Küsterin und Sabina Cvilak als Jenufa im 2. Akt von Janáčeks Oper „Jenufa“

Im 2. Akt blickt man in die Wohnung der Küsterin wie in eine Puppenstube; drei Räume mit tiefen Decken liegen nebeneinander. Kerkhof und Jäkel zeigen uns die Situationen mit der Souveränität eines Romanschriftstellers. Das Geschehen wirkt geführt, aber trotzdem realistisch genau. Man sieht die Details, aber sie sind arrangiert, und Jenufas Raum wird in völlige Dunkelheit getaucht, weggeblendet. Dann aber, wenn sie zu einem Violinsolo in einen Fiebertraum gerät und die Küsterin ihr das Kind nimmt, um es zu töten, öffnet sich die Wohnung nach hinten in einen fliederfarbenen Prospekt, während umgekehrt im 3. Akt der Prospekt genau bis zur Lebenshöhe der Figuren in tiefes Schwarz getaucht ist und die Hochzeitszeremonie von Laca und Jenufa zu einer düsteren Angelegenheit macht.

Die Harschheit, von der die Rede war, ist aber auch die der Musik. Man könnte Janáčeks „Jenufa“ mit glitzernden, feinen Rhythmen spielen, damit sie klingt, so wie ein pointillistisches Gemälde aussieht, den volksmusikalischen Grundton gewissermaßen veredelnd. Das tut Patrick Lange mit dem Hessischen Staatsorchester gerade nicht. Der Auftritt der Rekruten im 1. Akt ist derb zupackend musiziert, dabei extrem präzise. Der Schluss der Oper ist ein bedrohlich unruhiges Anschwellen mit abrupten Abreißen vor den letzten Worten Jenufas an Laca „Geh du auch“. Nicht einmal das schöne Zwischenspiel im 2. Akt, wenn Jenufa sich benommen schlafen legt, hat etwas Verklärendes, sondern ist eine ganz einfache, dabei aber gerade darin berührende Musik.

In der musikalischen Kleingliedrigkeit der Partitur, in der Prosasprache des Librettos und dadurch, dass die Personen immer als Figuren in einem Sozialsystem wirken und nicht als Menschen, die ihr Inneres nach außen kehren, ist Janáčeks Oper dem Sprechtheater nahe.

Ingo Kerkhofs Inszenierung wirkt auch zunächst wie ein Schauspiel. Indem er die vier Hauptfiguren aber psychologisch in möglichster Eindeutigkeit zeigt, vielleicht eindeutiger als Janáček selbst, kommt doch wieder etwas Opernhaftes hinein. Eine so durch und durch besessene Küsterin von der öffentlichen Maßregelung Stevas und Jenufas am Anfang bis zum Mordgeständnis, braucht den singenden Ausdruck einer Darstellerin wie Dalila Schächter . Aaron Cawley führt den Steva mit einer steten Gleichgültigkeit vor, die aus seiner Stumpfheit kommt. Demgegenüber ist Laca, (Daniel Brenna als souveräner Einspringer) in seiner Zuneigung zu Jenufa auf andere Art ebenso tumb wie Steva, wird aber durchweg positiv konnotiert, obwohl er es ja ist, der durch die Verletzung, die er Jenufa zufügt, das Drama in Gang setzt. Zwischen diesen Personen verharrt Sabina Cvilak als Jenufa, selbst wo sie den Tod ihres Kindes beweint, in erratischer Starre.

Premiere: 29.11.2018, weitere Aufführungen: 6., 12., 15., 20. und 28.12.2018

Besetzung:
Die Küsterin: Dalia Schaechter
Laca Klemen: Daniel Brenna
Steva Buryja: Aaron Cawley
Jenufa: Sabina Cvilak
Die alte Buryja: Anna Maria Dur
Altgesell: Daniel Carison
Dorfrichter: Hans-Otto Weiß
Seine Frau: Annette Luig
Karolka: Shira Patchornik
Jano: Stella An
u.a.

Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Musikalische Leitung: Patrick Lange
Inszenierung: Ingo Kerkhof
Bühne: Gisbert Jäkel
Kostüme: Sonja Albartus
Licht: Andreas Frank
Chor: Albert Horne
Choreografie: Myriam Lifka
Dramaturgie: Katja Leclerc