Live hören
WDR 3 Lunchkonzert mit Katja Schwiglewski
Cecilia Bartoli als Alcina

14.08.2019 – Händel, „Alcina“ bei den Salzburger Festspielen 2019

Stand: 14.08.2019, 13:50 Uhr

Barockopern sind lang, auch Händels Zauberoper „Alcina“. Barockopern haben komplizierte Handlungen. Alcina verzaubert alle Männer, die auf ihre Insel kommen in Tiere, Pflanzen und Steine, nur Ruggiero nicht, den sie liebt und er sie, bis ihm von Melisso die Augen geöffnet werden und er an seine Verlobte Bradamante und seine Ritterpflichten erinnert wird. Die beiden sind auch auf die Insel gekommen, Bradamante als Mann verkleidet, worauf Morgana, die Gehilfin von Alcina, sich ihn verliebt, was Oronte nicht gefällt, weswegen er behauptet, Alcina habe ebenfalls auf die verkleidete Bradamante ein Auge geworfen. Und dann gibt es noch den Jungen Oberto, der seinen verwandelten Vater sucht, der in der Salzburger Produktion ganz arglos und zu Herzen gehend von einem Wiener Sängerknaben gesungen wird.

Der Regisseur Damiano Michieletto hat dieses barocke Geflecht modern gedeutet als den vergänglichen Zauber einer selbstbewussten Frau. Alcina ist eine Hotelbesitzerin und hält sich eine Art Männer-Harem, aber wohl mehr in ihrer Fantasie, denn deren Leiber werden hinter einer halbtranspararenten Zwischenwand sichtbar. Sie wirken mal wie aus Stein, mal wie auf ein Fresko gemalt, mal wie Baumstämme, an deren Armen dürre Äste hängen. Diese Wand ist zugleich eine schwarz-weiße Projektionsfläche für mineralische oder auch florale Gebilde, die eine abstrakte Zauberwelt suggerieren. Und weil sich die Wand ständig dreht, kommt das, was dahinter ist, immer wieder in die Realität nach vorn, so wie in einem Traum.

Das ist stimmig und suggestiv, aber die Hauptaufgabe für den Regisseur einer Barockoper besteht noch mehr darin, eine szenische Antwort auf die schematisch ablaufenden Dacapo-Arien zu finden, bei denen sich immer der Anfang komplett wiederholt, was auch für die musikalische Darstellung eine enorme Herausforderung ist. Von den fast dreißig solcher Arien in dieser Oper ist das Michieletto bei vielleicht einem Dutzend gelungen und besonders in denen der Alcina mit Cecilia Bartoli. Schon im ersten Akt, als Ruggiero ihr noch ganz verfallen und vorläufig nur eifersüchtig ist, ahnt Alcina in „Sì, son quella“ – „Ich bin immer noch dieselbe“, dass ihr Zauber vergänglich sein könnte. Im A-Teil hat das noch etwas Trotziges, aber dann erscheint Alcina auf der Videowand übergroß das Bild ihrer eigenen Mutter, die sie einst nicht in die Zauberkunst, aber in die Gesangskunst geführt hat. Um sie herum schleicht – wie später auch immer wieder – eine gealterte Alcina-Figur. In der Wiederholung schlägt Bartoli nun ganz nachdenkliche, leise Töne an, und es wird in diesen sieben Minuten das ganze Thema der Oper ausgebreitet.

Auch später gelingt so etwas noch einige Male, aber nicht mit allen Sängern. Philippe Jaroussky als Ruggiero hat an diesem Abend viel damit zu tun – bis auf das wundervolle „Verdi prati“ - seinen krähenden Countertenor zu zügeln. Sandrine Piau als Morgana gelingt richtig gut nur der Händel-Hit „Tornami a vagheggiar“ und Kristina Hammarström als Bradamante setzt in „E gelosia“ die Koloraturketten fast mehr gesprochen als gesungen.

Solche Defizite haben auch mit dem Orchester und der Art wie Gianluca Capuano dirigierte zu tun. Man hatte den Eindruck, als wolle er mit den Musiciens du Prince-Monaco ein Lehrstück in Musikrhetorik abliefern. Es war ein meist zurückgenommenes, bedächtiges Spielen, aus dem ein geradezu anämischer Klang resultierte mit merkwürdig bauchigen Artikulationen und ungelenken Instrumentalsolisten, namentlich Blockflöten, Violine, Cello und vor allem die Hörner, die Philippe Jaroussky in seiner Paradearie „Sta nell‘ircana“ fast aus dem Konzept brachten. Denn noch eines ist in der Barockoper entscheidend, wo die Instrumente sich oft gleichberechtigt an die Gesanglinie schmiegen: absolute Präzision und Gleichklang in der Art zu musizieren.

Premiere bei den Salzburger Pfingstfestspielen: 07.06.2019, besuchte Vorstellung: 13.08.2019

Besetzung:
Alcina: Cecilia Bartoli
Ruggiero: Philippe Jaroussky
Morgana: Sandrine Piau
Bradamante: Kristina Hammarström
Oronte: Christoph Strehl
Melisso: Alastair Miles
Oberto: Sheen Park (Wiener Sängerknabe)

Les Musiciens du Prince – Monaco
Bachchor Salzburg

Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Kostüme: Agostino Cavalca
Licht: Alessandro Carletti
Video: rocafilm
Choreographie: Thomas Wilhelm
Choreinstudierung: Markus Obereder
Dramaturgie: Christian Arseni