Live hören
Justin Heinrich Knecht
00.03 - 06.00 Uhr Das ARD Nachtkonzert

25.10.2019 – Gluck/Berlioz, „Orphée et Eurydice“ in Lüttich

Stand: 25.10.2019, 12:25 Uhr

Das ist immer schön, wenn Musik und Szene so zusammengehen wie jetzt bei „Orphée et Eurydice“ an der Oper in Lüttich. Dabei lässt sich gar nicht so einfach benennen, wie dieser Gleichklang da zustande gekommen ist. Weder die Musik, geleitet von dem Alte-Musik-Spezialisten und Klarinettisten Guy van Waas, noch die Bühne und die Personen, eingerichtet bzw. geführt von Aurélien Bory, drängen sich in den Vordergrund. Und doch ist beides in einer unaufdringlichen, fast möchte man sagen, sanften Weise prägnant.

Zum Beispiel die Musik im zweiten Bild des zweiten Aktes, der in der Unterwelt spielt, in die Orpheus getreten ist, um seine Eurydike zurückzuholen: Während sich das „Non, non“ der Unterweltler noch etwas rau anhörte, wandelte sich die Musik nach und nach zu einem wunderbar erweichenden Klang, so dass man sich ein wahres Unterwelt-Idyll vorstellen mochte. Die Linien im Orchester fließen dahin, das Flötensolo im „Ballet: Lent sempre legatissimo“ hört sich wie ein Naturlaut, aber nur, weil es so geschmackvoll phrasiert und intoniert und ins Orchester eingebettet war, so dass danach der Chor wie selbstverständlich dieses elysische Land zu bevölkern vermochte.

Mélissa Petit als Eurydice, in “Orphée et Eurydice“ an der Opéra Royal de Wallonie-Liège

Mélissa Petit als Eurydice, in “Orphée et Eurydice“ an der Opéra Royal de Wallonie-Liège

Auf der Bühne sieht man in diesem Moment eine weitere Variation von Aurélien Borys Spiegelkabinett: was auf dem Bühnenboden stattfindet, wird vertikal in sanftem Licht in den Zuschauerraum projiziert. Die Menschen formen dort auf dem Boden eine Art lebendiges Muster, das aussieht wie die Fensterrosette einer Kathedrale und sind doch lebendig. Orpheus legt sich dazu und ist Teil dieser Welt. Auch das alles ist, wie die Musik, von einer Unaufdringlichkeit und dabei von intelligenter Vielschichtigkeit. Zu dem Bühnenbild gehört auch eine Tapisserie, die einem Gemälde von Camille Corot aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden ist, das Orpheus und Eurydike auf ihrem Weg aus der Unterwelt darstellt. Dieser Teppich wird gerafft und ausgebreitet und gerollt, was dann auf dem Spiegel wie ein pastellenes Kaleidoskop wirkt.

In dem Moment, wo die beiden tatsächlich wieder auf die Erde zurückgehen wollen, verliert sich das Bild der sanften Unterwelt und das Licht wird hart. Die in ein weißes Chiffonkleid gekleidete Eurydike wird in ein schwarzes Tuch gewickelt, und bei dem verbotenen Blick von Orpheus sinkt sie unspektakulär nieder und liegt da wie friedlich schlafend und entseelt. So stellt sich der Weg in die Welt zurück als ein Irrweg da, und Orpheus folgt ihr.

In Lüttich wird deswegen das glückliche Ende, bei dem Eurydike durch den Götterspruch Amors doch am Leben bleibt, gestrichen.

Gespielt wird Glucks Oper in dieser Produktion, die auch an vielen Theatern in Frankreich und darüber hinaus zu sehen war und ist (auch neulich bei ARTE im Fernsehen) in der Bearbeitung von Hector Berlioz aus dem Jahr 1859. In ihrer feinen Instrumentierung und der Anreicherung durch zahlreiche Ballettnummern ist diese recht häufig gespielte Fassung auf jeden Fall den verschiedenen Versionen, die Gluck selbst von dieser Oper hergestellt hat, ebenbürtig.

Vor allem Berlioz‘ Entscheidung, den Orpheus zu einer echten Mezzosopran-Partie zu machen, bringt ein schönes Gleichwicht in die drei Rollen, denn Eurydike und Amor sind Partien für helle Soprane. Julie Robard-Gendre, die in der besuchten Vorstellung kurzfristig eingesprungen war, füllt diese Rolle aus, indem sie dem Orpheus ein kräftiges, manchmal sogar männliches Timbre verleiht. Ihr flackernder, vibratoreicher Gesang ging aber auch auf Kosten der Eleganz und Linienführung. Ihren großen Auftritt hatte sie in der Bravourarie „Amour, viens rendre à mon âme“, bei der sie wie mit einem Schwert den Klangraum des Opernhauses durchschnitt.

Premiere in Lüttich: 18.10.2019, besuchte Vorstellung: 24.10.2019

Besetzung:
Orphée: Julie Robard-Gendre
Eurydice: Mélissa Petit
Amour: Julie Gebhart

Chor und Orchester der Opéra de Wallonie-Liège

Musikalische Leitung: Guy van Waas
Inszenierung: Aurélien Bory
Bühnenbild: Aurélien Bory und Pierre Dequivre
Kostüme: Manuela Agnesini
Licht: Arno Veyrat
Chorleitung: Pierre Iodice
Dramaturgie: Taïcyr Fadel