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Schlussszene aus „Médée“ von Luigi Cherubini

11.08.2019 – Luigi Cherubini, „Médée“ bei den Salzburger Festspielen 2019

Stand: 11.08.2019, 13:50 Uhr

Medea ist als Mörderin ihrer Kinder eine psychopathische Verbrecherin. Sie ist eine politische Revolutionärin, die ihr eigenes Land durch den Raub des Goldenen Vlieses und den Mord an ihrem Bruder ins Wanken bringt. Sie ist eine Priesterin, die den Kult des Menschenopfers praktiziert. Sie ist eine Liebende und Verratene in ihrer kompromisslosen Gefolgschaft zu Jason, und sie ist als intelligente, kraftvolle Frau eine Projektionsfigur im Geschlechterkampf. In Simon Stones Inszenierung der Oper „Médée“ von Cherubini ist sie eine Ehefrau mit Migrationshintergrund, die von einem im Salzburger Land lebenden Upperclass-Schnösel wegen einer Jüngeren verstoßen wird.

Das ist schlimm, aber leider auch irgendwo normal, eine Geschichte, die in Fernsehsoaps wie „Sturm der Liebe“ in jeder dritten Folge verhandelt wird. Und genau so erzählen Stone und sein Bühnenbildner Bob Cousins den Medea-Mythos, inklusive der fernsehgerecht nachgestellten Klischee-Schauplätze von mondäner Villa, Luxus-Brautmodenladen, Nachtclub, Hotel-Bankett, Bushaltestelle und Tankstelle. Dazu kommen, weil ja Medea nach der Scheidung in ihr Heimatland ausgewiesen wurde, ein Internetcafé, von wo aus sie Kontakt zu Jason aufzunehmen versucht. Dazu kommen auch aufwendig gedrehte Schwarzweiß-Filmsequenzen, die den Eindruck von Autorenfilmkino machen sollen.

Dieses aufwändige Arrangement lässt keinen Platz für handelnde Personen auf der Bühne. Die zentrale Szene im zweiten Akt, als Jason von Medea die Trennung von ihren Kindern verlangt, wird als Telefongespräch inszeniert, bei dem man nur herumstehen kann. Im Finale, in dem Medea ihre Mord-Tat reflektiert, fuchtelt sie minutenlang mit dem Tankstutzen herum, unschlüssig, ob sie das Auto, in dem ihre sedierten Kindern sitzen, abfackeln soll, während um sie herum untätig Feuerwehrleute zuschauen. So erstickt diese Inszenierung in jedem Moment an ihrem hingestellten Studio-Realismus, die sich auch noch durch die gefühligen Phrasen Medeas, die die die Operndialoge in Form von Sprachnachrichten ersetzen sollen, zusätzlich entwertet.

Simon Stone hat in der Vergangenheit durch kluge Inszenierungen wie Korngolds „Die tote Stadt“ in Basel oder Reimanns „Lear“ in Salzburg auf sich aufmerksam gemacht. Hier aber wirkt es so, als ob Stone mit seiner Ausgangsfrage, nämlich wieviel Alltäglichkeit im Medea-Mythos steckt, sich selbst eine Falle gestellt hat und in seiner selbst inszenierten Oberflächlichkeit untergegangen ist. Eine Fernsehsoap kann per se niemals zum Drama werden.

Leider kam auch die Musik nicht zu Hilfe. Der sich redlich mit den Wiener Philharmonikern abmühende Thomas Hengelbrock hatte mit Cherubinis sperriger Theatermusik überhaupt keine Möglichkeit, mit den Sängern auf der Bühne etwas zu entwickeln, was den Namen Musikdrama verdient hätte, denn Cherubinis Oper erzählt ja weniger eine Geschichte, sondern formt einzelne Schlüsselszenen aus, deren Kern nicht in der Aktion, sondern in der Reflexion liegt.

Einzig Elena Stikhina gelang es mehr und mehr bis zum Schluss am Tankstellenshowdown durch ihre kraftvolle, dunkel grundierte Stimme und durch variantenreiche Deklamation die Titelfigur sozusagen aus der zu sehenden Handlung herauszunehmen und gesanglich zu formen.

Premiere: 30.07.2019, besuchte Vorstellung: 10.08.2019

Besetzung:
Médée: Elena Stikhina
Jason: Pavel Černoch
Créon: Vitalij Kowaljow
Dircé: Rosa Feola
Néris: Alisa Kolosova
Erste Begleiterin Dircés: Tamara Bounazou
Zweite Begleiterin Dircés: Marie-Andrée Bouchard-Lesieur
Sprachnachrichten Médée: Amira Casar

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker

Musikalische Leitung: Thomas Hengelbrock
Inszenierung: Simon Stone
Bühne: Bob Cousins
Kostüme: Mel Page
Licht: Nick Schlieper
Sounddesign: Stefan Gregory