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Isabelle Druet als Cassandre in „Les Troyens“ (1. Akt) von Hector Berlioz

25.09.2022 – Hector Berlioz, "Les Troyens" in Köln

Stand: 25.09.2022, 09:30 Uhr

Hein Mulders ist der neue Intendant der Kölner Oper. Die erste Premiere unter seiner Leitung war "Les Troyens" von Hector Berlioz, ein riesiger Fünfakter von vier Stunden Spieldauer mit großen Tableaux, ausladenden Ballettnummern und dem gesamten Personal des Troja-Mythos auf der Bühne. Ein solches Mammutwerk war natürlich gesetzt, lange bevor Mulders im Amt war, aber er hat es immerhin besetzt.

U. a. die beiden großen Frauenrollen Kassandra und Dido mit Isabelle Druet und Veronica Simeoni. Besonders sie konnte in der großen Schlussszene, als Aeneas sie in Richtung Italien verlassen hatte, die karthagische Königin in einer Mischung aus Verzweiflung, anrührender Zerbrechlichkeit und Rachelust darstellen und wechselte von dramatischem Furor unvermittelt zu flehentlichem Bitten, unterstützt durch eine körperliche Präsenz, die sich auch dadurch vermittelte, dass sie auf dem das Orchester umgebenden Bühnenkranz dicht ans Publikum heranrückte.

Ihr gegenüber ist der Kassandra in Berlioz‘ Partitur nicht der gleiche Entfaltungsraum gegeben. Während Dido ihren Selbstmord ganz alleine begeht, ruft Kassandra am Ende des 2. Aktes beim Untergang Trojas zum kollektiven Sterben aller Bewohnerinnen auf und ist dabei eine von ihnen. Isabelle Druet singt klar und verständlich, aber dabei immer auch immer ein bisschen aus der Warte der reflektierten Seherin. Großes Drama scheint ihre Sache nicht zu sein. Die dritte Hauptrolle ist Aeneas, gesungen von Enea Scala, eine schwierige Partie. Die herauszuschleudernden Spinto-Qualitäten hat er auf jeden Fall, weniger die leisen, von Skrupeln angetriebenen Töne des Zweifels in seiner Arie "„Ich muss Karthago verlassen".

Die Bühne von Heike Scheele ist ein Statement für Berlioz‘ Orchesterpartitur. Die Musiker bilden den Mittelpunkt des Geschehens, und die Darsteller agieren rund herum meist auf einem schmalen kreisförmigen Catwalk. Diese kreisförmige Anlage dürfte von archäologischen Befunden inspiriert sein, denn sowohl Troja wie auch Karthago – so liest man im Programmheft – waren so angelegt.

Und dieses Arrangement dürfte auch dem Dirigenten François-Xavier Roth gefallen haben, tritt er doch gerade in Köln seit langem als unermüdlicher Apologet von Berlioz‘ Musik in Erscheinung. So war der Höhepunkt der Aufführung nicht etwa die beiden Abschiedsszenen der Frauen, nicht die zahllosen – auch ein bisschen langatmigen – Balletteinlagen – sondern das Liebesduett "Nuit d’ivresse" zwischen Dido und Aeneas. Da drehte sich nicht nur der Catwalk, sondern im Gegenuhrzeigersinn auch das ganze Orchester, so dass die duftige Musik sich, wie von einem Klangsommelier im Raum zerstäubt, ausbreitete.

Zu den weiteren Ausstattungselementen gehörte eine Badewanne, die den Frauen als Rückzugs- oder Sterbeort diente und eine überdimensionierte Gipsmaske, unter der bei jenem Duett das gesamte Götterpersonal des Olymps kauerte, während sie in den anderen Akten immer als etwa derangierte Truppe durch die Szenerien geisterten und halb belustigt, halb abwesend so taten, als steuerten sie das Geschehen.

Dies war genauso eine dramaturgische Setzung in der intelligenten, mit den Räumlichkeiten geschickt umgehenden Regie von Johannes Erath, wie die am Schluss noch einmal auftretende Kassandra, die ihrer Schwester im Geiste Dido die Hände reicht oder die Schauder erregende Szene mit dem trojanischen Pferd, vor dem Kassandra warnt. Es tritt umgekehrter Zentaur auf mit Pferdekopf und Menschenleib und bedrängt Kassandra mit animalischer Zudringlichkeit, gegen die sie sich mit Gesang "Durchsucht die Flanken des monströsen Pferdes" und auf dem Boden sich windend zu erwehren sucht.

Premiere: 24.09.2022, noch bis zum 15.10.2022

Besetzung:
Troja (1. und 2. Akt):
Cassandre: Isabelle Druet
Chorèbe: Insik Choi
Énée (Aeneas): Enea Scala
Panthée: Lucas Singer
Ascagne: Giulia Montanari
Priam: Matthias Hoffmann
Hécube: Dalia Schaechter
Helenus: SeungJick Kim
u.a.

Karthago (3.- 5. Akt):
don: Veronica Simeoni
Anna: Adriana Bastidas-Gamboa
Narbal: Nicolas Cavallier
Iopas: Dmitry Ivanchey
Énée (Aeneas): Enea Scala
Panthée: Lucas Singer
Ascagne: Giulia Montanari
Hylas: Young Woo Kim
u.a.

Chor und Zusatzchor der Oper Köln
Orchester Gürzenich-Orchester Köln

Musikalische Leitung: François-Xavier Roth
Chorleitung Rustam Samedov
Inszenierung: Johannes Erath
Bühne und Kostüm: Heike Scheele
Co-Bühnenbild: Norman Heinrich
Video: Bibi Abel
Licht: Andreas Grüter
Dramaturgie: Stephan Steinmetz