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03.11.2021 – Benjamin Britten, „War Requiem“ in Barcelona

Stand: 02.11.2021, 09:30 Uhr

Der versierte Opernkomponist Benjamin Britten dachte sicher nicht daran, sein „War Requiem“ auf die Bühne zu bringen. In diesem Stück, das zur Wiedereinweihung der Kathedrale von Coventry 1962 uraufgeführt wurde, kombiniert Britten den Requiemstext mit Gedichten des im Ersten Weltkrieg gefallenen Dichters Wilfried Owen. Das sind ergreifende Verse, die die Schrecken und die Verzweiflung der Soldaten im Ersten Weltkrieg schildern. 2018 kam an der English National Opera eine szenische Produktion mit dem Regisseur Daniel Kramer und dem Fotografen Wolfgang Tilmanns heraus, die jetzt am Gran Teatre del Liceu in Barcelona gezeigt wurde und beim Publikum einen tiefen Eindruck hinterließ, dem warmen und lang anhaltenden Applaus nach zu beurteilen.

Das lag vor allem an den beiden Solisten Mark Padmore in der Rolle des Tenors und Matthias Goerne in der des Baritons, die Owens Verse mit sichtbar und hörbar innerer Bewegung vortrugen. Die Chöre, die den sterbenden Soldaten erklingen, seien die von heulenden Granaten, singt Padmore im Ton der Verzweiflung und Anklage. Oder am Schluss, wenn die beiden sich als scheinbar befeindete Soldaten begegnen, und der eine im Tod seinen Frieden finden will, entgegnet der andere: „Nun werden sich die Menschen mit dem begnügen, was wir verdarben.“

Mark Padmore und Matthias Goerne in Brittens „War Requiem“

Mark Padmore und Matthias Goerne in Brittens „War Requiem“

Allein schon dadurch, dass sie nicht in Konzertkleidung, sondern in abgeschabten Uniformen auf der dunklen Bühne agieren, gewinnt ihr Gesang an Dringlichkeit und Eindringlichkeit. Kramer und Tilmanns schaffen einen Raum, der durch eine scheinbare Konkretion direkt ins Innere führt und aus Brittens Werk mehr macht als ein musikalisches Antikriegspoem. Die Choristen, zu denen sich die Sopranistin Tatiana Pavlovskaya gesellt, die die lateinischen Requiemsverse singen, bevölkern die Bühne oft liegend und dann immer auch wieder an die Bühnenkante sich bewegend. Sie bilden ein Schlachtfeld von Sterbenden oder auch eine mahnende und anklagende Masse.

Dabei wirkt die Szenerie nie gewollt aktionistisch, ja nicht einmal überdramatisiert. Man könnte sogar sagen, dass die Sänger auf der Bühne mit dem riesigen Orchester, das fast auf Bühnenhöhe hochgefahren wurde, verschmelzen und auch die Instrumentalisten Teil einer Gesamtinstallation werden. Josep Pons leitet das Orchester nie mit herausfahrenden Gesten, sondern zelebriert – manchmal geradezu bedächtig - die Musik. Es kommt ihm darauf an, dass gewissermaßen jeder einzelne Musiker einen eigenen Beitrag zu Brittens Mammutwerk formuliert, so dass sich das Ganze immer auch wieder zum Einzelnen findet.

Wolfgang Tillmans spart nicht mit Bildern. Wie in einem Triptychon wird am Anfang kriegsverherrlichende Kinderliteratur eingeblendet, später sieht man schwarz/weiß Fotografien von grausam verstümmelten Soldaten oder auch eine ritualisierte Begräbnisszene, bei der der Sohn eines Gefallenen im schwarzen Sarg die sorgsam gefaltete Flagge von sich wirft.

An zwei Stellen wird Brittens Musik unterbrochen, und die Musiker imitieren Naturklänge vor dem heruntergelassenen Vorhang, auf dem ein Strand zu sehen ist, an den mit Abwasserschaum verunreinigte Wasser gespült wird oder Bilder von abgeholztem Holz, das so zugerichtet wirkt wie die Kriegsversehrten. Merkwürdig und geradezu verunsichernd ist das Schlussbild, das ein grünes Idyll zeigt, auf das sich die beiden Männer nach ihrer Schlussaussprache zubewegen.

Besuchte Vorstellung: 02.11.2021

Besetzung:
Tenor: Mark Padmore
Bariton: Matthias Goerne
Sopran: Tatiana Pavlovskaya

Coro del Gran Teatre del Liceu
VEUS - Cor Infantil Amics de la Unió
Orquesta de Cámara del Gran Teatre del Liceu
Orquesta Sinfónica del Gran Teatre del Liceu

Musikalische Leitung: Josep Pons
Choreinstudierung: Pablo Assante
Inszenierung: Daniel Kramer
Bühnenbild und Videos: Wolfgang Tillmans
Kostüme: Nazir Mazhar
Licht: Ric Mountjoy
Dramaturgie: Luc Joosten