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Slowthai: "UGLY"

Slowthai: "UGLY"

Akzeptanz der eigenen Imperfektion

Stand: 10.03.2023, 10:53 Uhr

Der britische Musiker Slowthai ist eigentlich im Grime und Rap verwurzelt. Auf seinem neuen Album "UGLY" klingt er allerdings eher nach Punk, Garagenrock und Drum'n'Bass. Mit dieser neuen Formel krempelt er die britische Musikszene um – und macht sich für Selbstliebe stark. Die Musikkritik ist begeistert.

Von Vincent Lindig

Hinter dem Albumtitel "UGLY" verbirgt sich eine Empowerment-Message: Slowthai macht aus dem Wort nämlich ein Akronym, hinter dem sich der Slogan "U Gotta Love Yourself", also "Du musst dich selbst lieben" verbirgt. Und zwar mit all deinen vermeintlichen Schwächen. Diese Message hat sich Slowthai dann auch direkt unters linke Auge tätowieren lassen. Auf "UGLY" rappt er über seine ADHS-Diagnose, über Therapiesitzungen, in denen er lernt, nicht immer anderen die Schuld für seine Lage zu geben. Er begibt sich ins Streitgespräch mit seinen Dämonen, die ihn zu Drogenkonsum und anderem selbstzerstörerischem Verhalten verleiten wollen. Auf dem Opener "Yum" geht der Song urplötzlich in das schwere Atmen eine Panikattacke über und verleiht dem Text so eine zweite, beeindruckend intensive Ebene des Nachempfindens.

Mental Health und Rüpel-Image

Slowthai ist ohne Frage ein Enfant terrible, das auch mal ordentlich über die Stränge schlägt. Bei der Preisverleihung des NME-Awards 2020 etwa verhält er sich der Moderatorin gegenüber respektlos, wirft später ein Sektglas ins Publikum und will sich mit einem Besucher der Veranstaltung prügeln. Ein Fiasko vor laufenden Kameras. Am nächsten Tag folgt eine aufrichtige und reflektierte Entschuldigung, die zeigt, dass Slowthai zwar einen Hang zum Exzess hat, aber eben auch lernen und Fehler zugeben kann. Inzwischen ist der 28-Jährige von Kopf bis Fuß voll mit DIY-mäßig gestochenen Tattoos, aber trotzdem weit vom Machogehabe schwerer Jungs entfernt. Seine Texte behandeln schon immer politische und gesellschaftliche Themen wie Rassismus in Großbritannien oder die Überheblichkeit der politischen Elite. Auch Armut und Perspektivlosigkeit in seiner Heimatstadt Northampton zwischen London und Birmingham tauchen immer wieder in seinen Songs auf. Und schon seit seinem letzten Album "TYRON" von 2020 geht es auch viel um die eigene Psyche: um Drogenprobleme, Selbstzerstörung, ewige Zweifel an sich selbst, Therapieversuche. Slowthai ist also viel eher ein impulsiver, sensibler, nachdenklicher Schreiberling als harter Rapper.

Fahrtrichtung: Punk und Garage

Slowthai experimentiert nicht erst seit "UGLY" mit Sounds abseits von Grime und HipHop. Einer seiner bekanntesten Songs, "Doorman", der von seinem Freund Mura Masa produziert wurde, machte schon 2019 klar: Slowthai trägt Einflüsse von legendären britischen Bands wie den Sex Pistols oder The Clash in seiner musikalischen DNA – und kombiniert diese gekonnt mit Rapstrophen. Auf "UGLY" wagt er sich jetzt so weit weg von seinen Wurzeln im Rap und Grime wie nie zuvor. Sei es ein Song wie "Wotz Funny", in denen Slowthai fragt: "What's funny? Oi, Oi, Oi!", der eine klare Hommage an die britische Punkkultur ist oder der sphärische, nur mit Gitarre und Bass instrumentierte "25% Club", in denen er plötzlich sanft singt und mehr nach Songwriter als Rapper klingt. Und selbst, wenn Slowthai auf "Fuck It Puppet" seine Rap-Wurzeln stärkt, geben einem die verzerrten Gitarrensounds und die knisternden Drums das Gefühl, einer Liveband zuzuhören.

Platz für Visionen

Mit seiner großen Palette an Inspirationen aus Punk, Indie, Grime und anderen urbritischen Genres macht sich Slowthai ordentlich Platz für seine musikalische Vision. Dieser kreative Mut wird belohnt: Die Tageszeitung The Guardian gibt "UGLY" fünf von fünf möglichen Sternen, das Musikmagazin NME kommt – trotz des Vorfalls bei der Preisverleihung 2020 – zum gleichen Schluss. Es bleibt spannend, die künstlerische Entwicklung vom erst 28-jährigen Slowthai weiter zu verfolgen. Und wer weiß schon, wie das nächste Album klingen wird? "UGLY" ist jedenfalls ein ziemlich visionäres Meisterwerk.