"Golden Retrieve Her": Adjas Gesellschaftskritik im Jazz-Gewand
Stand: 30.05.2025, 09:00 Uhr
Die belgische Sängerin Adja hat Jazz und Schauspiel studiert. Als ihre musikalischen Vorbilder nennt sie aber Nina Simone oder Erykah Badu. Diese Einflüsse führt Adja in einem experimentellen Jazz-Sound zusammen.
Von Vincent Lindig
Jazz und Neosoul
"Golden Retrieve Her" klingt jazzig, soulig, ein bisschen nostalgisch – und dabei auch sehr eigenwillig. Für die Produktion hat sie dreizehn Musikerinnen und Musiker im Studio versammelt, um den Sound des Albums auszutüfteln. Einerseits spielt der klassische Jazz eine große Rolle, Adja scatted fast schon und moduliert die Töne sehr verspielt, im Hintergrund Klavier und Trompeten.
Adja hat Jazz und Schauspiel studiert – diese Welt klingt auf Albumlänge deutlich durch. Aber sie verlässt diesen klassischen Jazz-Backdrop auch immer wieder und klingt dann plötzlich nach Neo-Soul à la Erykah Badu. Zum Beispiel auf dem sehnsüchtigen Hit des Albums "A Moment".
Mutter, Vater, 2,4 Kinder und ein Hund
Der entspannte, elegante Sound des Albums täuscht vielleicht beim ersten Hören: "Golden Retrieve Her" ist keine Easy-Listening-Platte. Denn in den Texten verhandelt Adja die kleinen und großen Probleme unserer Zeit: Sie kritisiert zynisch, dass die Kernfamilie aus Mutter, Vater, 2,4 Kinder (ein Bezug auf die BBC-Serie "2point4 Children" aus den 1990ern, in die sich auf die statistisch typische Anzahl von Kindern in einer durchschnittlichen Kernfamilie bezieht) und ein Golden Retriever als großes Ideal über allem hängt – aber eben auch die ausschließt und abwertet, die nicht nach diesem Ideal leben wollen oder können.
In anderen Songs wie "Package Delivered by Tomorrow" geht es um Lieferdienst- und Paketfahrer, die uns Träume nach Hause liefern. In "A Moment" singt Adja von der Sehnsucht nach diesem einen ruhigen Moment in der Hektik des Alltags. Aber Adja singt auch davon, sich in einem "gewaltvollen Gesellschaftssystem", wie sie es beschreibt, als Schwarze Frau durchzuschlagen – davon handelt zum Beispiel der Song mit dem wundervoll provokanten Titel "Sucking on my Emphatitties".
Wortspiele und Tarotkarten
Der Albumtitel, die Songtitel – Adja spricht zwischen den Zeilen zu ihren Hörerinnen und Hörern und erweitert so den Kontext ihrer kritischen Songtexte. So entstehen elf Geschichten, die den Einfluss der kapitalistischen Gesellschaft auf unser (Liebes-) Leben, unsere Beziehungen und unseren Selbstwert nachvollziehen. Auf der visuellen Ebene hat Adja vier selbstgemachte Tarotkarten entworfen, die die vier Themen des Albums darstellen: The Wheel Of Fortune verkörpert den Wunsch, in einem System, das nicht mit den eigenen Werten übereinstimmt, die Oberhand zu gewinnen.
The Mirror steht für die Reflektion verlorener Bindungen. The Dark Wheel verkörpert den Wendepunkt des wheel of fortune, an dem man sich seinem moralischen Untergang völlig überlässt. Und The Cave steht für die – manchmal schmerzhafte, manchmal beglückende – Rückkehr zu seinem eigenen Geist und Herzen. Die Aufgliederung in verschiedene Themenkreise in Verbindung mit den tiefgehenden Songtexten machen "Golden Retrieve Her" zu einem Gesamtkunstwerk voller Besonderheiten, die man während des Hörens entdecken kann.
