
Trettmann: "Insomnia"
Endlich wieder gut Schlafen
Stand: 19.03.2023, 00:01 Uhr
Alle lieben Trettmann. Der Leipziger ist wohl der einzige Ü40er, der die Generation Z mit seiner Musik begeistert und gleichzeitig auch im Feuilleton oder auf der "Straße" gefeiert wird - für seinen Mix aus Trap, Dancehall, Elektronik und ausdrucksstarken Texten. Auf "Insomnia" geht er lyrisch noch tiefer, das Album ist eine durchgehende Erzählung von Erfolg, Herzschmerz und Neuanfang.
Von Adrian Nowak
Nur weil etwas nach Klischee klingt, heißt das nicht, dass es nicht wahr ist. Die Beatles sangen "Money can't buy me love", Biggie klagte "Mo' Money, Mo' Problems" und bei Trettmann heißt es: "Kingsize Bett, in dem ich jetzt alleine schlaf". Mit Geld kann man sich auch 2023 keine Liebe kaufen. Davon handelt "6 Nullen", der erste Track auf "Insomnia", in dem wir Trettmann als einsamen Rockstar erleben.
Im Höhenflug zum Tiefpunkt
Trettmann war zwar mit seiner Musik in den letzten Jahren supererfolgreich, doch ist zwischen Touren, Studioarbeit und Medienrummel seine langjährige Beziehung zerbrochen. Ausgehend von diesem Schicksalsschlag entspinnt sich die Geschichte von "Insomnia": Eine Erzählung über Trennung, Einsamkeit, der Suche nach Liebe und Neuanfang.
Allein im Kingsize-Bett
"Insomnia" beginnt nicht mit einem großen Knall oder einem bombastischen Intro, sondern am absoluten Tiefpunkt. "Wie viel Nullen hat 'ne Million / Wie viel Zimmer zum alleine wohnen". Zu einem traurig wabernden Synthie-Bass singt Trettmann über seine Einsamkeit und beschreibt wie es dazu kam. Nach vielen Jahren, in denen es finanziell schwierig war, zerbricht die Beziehung letztendlich daran, dass der megaerfolgreiche Trettmann dauernd tourt und kaum daheim ist. Doch in der zweiten Strophe berichtet er auch von seiner Liebe für die Kunst, von ausverkauften Konzerten und dem Bad in der Menge. Auch die folgenden Songs sind geprägt von Einsamkeit, Trauer und Verzweiflung. Im Titelstück "Insomnia" verliert Tretti sich in schlaflosen Nächten, in denen er versucht den Verlust zu verarbeiten. Doch zur Mitte hin wird es optimistischer...
Auf der Suche nach der neuen Liebe
"Scroll nur noch nach vorn nicht zurück" singt der einsame Held auf "Timeline" und beginnt sich neu zu orientieren. Dazu singt Lena Meyer-Landrut: "Bin heute aufgewacht und hab zum ersten Mal nicht an uns zwei gedacht." Im euphorischen "Gekreuzte Finger" macht er eher lockere Bekanntschaften, der Partyhit "Für Dich Da" und das glückselige "Blue Sky" sind dann Oden an eine neu gefundene Liebe.
Und im achten Track findet er sich auch selbst. "Stefan Richter" ist nicht nur Trettmanns bürgerlicher Name, sondern er erzählt im dem Stück auch Anekdoten aus seiner Familiengeschichte: Von seinem Bruder, der aus der DDR in den Westen geflohen ist, oder von der Liebe für seine Tochter. Außerdem präsentiert er sich als geerdeter Zeitgenosse, der nicht viel übrig hat für Geld und Statussymbole: "Weiß immer noch was ein Brot kostet. Aber nicht was die Uhr von Bonez kostet."
In den letzten Stücken geht Trettmann wieder das Leben feiern, beim Abschlusstrack ist alle Nachdenklichkeit verschwunden, stattdessen will er mit Nina Chuba in einem Longdrinkglas "Tauchen". Ganz nach dem Motto: Krise überwunden, wo ist die nächste Party?
Turn-up und Traurigkeit
Es ist eine seltsame Ironie des Schicksals, dass das Break-Up-Album erscheint, als Trettmann auch bekannt gibt, dass er sich von seinem Produktionsteam KitschKrieg trennen wird. Ein Schock für viele Musikfans. Denn seit 2016 waren Trettmann und die Berliner ein unschlagbares Team, veröffentlichten vier EPs und drei erfolgreiche Alben. Im Januar erklären sie, warum sie nun aufhören wollen: "Ganz ehrlich, wir haben das Gefühl, dass wir unserer Geschichte nichts mehr hinzuzufügen haben."
Zum Abschied begeistert das Dream Team mit Beats zwischen Euphorie und Melancholie. Bei "Timeline" bedienen sie sich an Afrobeats nach nigerianischem Vorbild, für das Outro des Songs haben die Kölner Producer 255 sogar ein freshes Amapiano Outro gebastelt. Auf Songs wie "Tauchen", "Gekreuzte Finger" oder "Insomnia" gibt Dancehall den Puls vor, während darüber melancholische, poppige oder technoide Melodien zu hören sind. Ein energiegeladener HipHop-Banger ist "Stefan Richter", der mit euphorischen Streichern und einem Gastauftritt von Herbert Grönemeyer begeistert. Überhaupt hat sich Trettmann viele spannende Gäste ins Boot geholt: Neben etablierten Stars wie Popsängerin Lena oder Hype-Künstlerin Nina Chuba hört man auch viele junge Talente wie Paula Hartmann oder Levin Liam.
Mit "Insomnia" liefert der für seine traurige Delivery bekannte Trettmann ein akustisches Antidepressivum. Das Album weist den Weg aus der Krise, ist der Routenplaner zur Sonnenseite des Lebens. Trettmann kann endlich wieder gut Schlafen ... oder die ganze Nacht durchtanzen.