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Overmono: "Good Lies" - Overmono verneigen sich vor der britischen Rave-Kultur

Overmono: "Good Lies"

Peak Time auf der Waldlichtung

Stand: 22.05.2023, 00:01 Uhr

"Good Lies" von Overmono ist der Soundtrack einer Partynacht zwischen Euphorie und Runterkommen. Und erzählt, wie zwei Brüder aus der walisischen Provinz die neuen Dance-Pop-Stars des Vereinigten Königreichs wurden.

Von Christian Werthschulte

Overmono: "Good Lies"

COSMO Album der Woche 22.05.2023 03:16 Min. Verfügbar bis 21.05.2024 COSMO


Ein Fluß, der Wald und das Radio: Das sind die Zutaten, aus denen Overmono ihre Dance-Tracks bauen. Der Fluß Monnow in Wales hat den beiden Brüdern Ed und Tom Russell den Namen gegeben. An seinem Ufer, in der walisischen Kleinstadt Monmouth sind sie aufgewachsen, im Radio liefen die DJ-Mixe der BBC. Und im benachbarten Wald haben sie ihre ersten Partys veranstaltet – denn Clubs gab es in der walisischen Provinz nicht. Und auch musikalisch ist Monmouth weit entfernt von London und seiner geschmacksverfeinerten, in viele Subkulturen aufgeteilten Dance-Szene. Auf dem Soundsystem liefen die unterschiedlichsten britischen Dance-Stile, gemixt mit der Euphorie zweier Teenager. Eine prägende Erfahrung, sagt Tom Russell: "Alle mochten unterschiedliche Musik. Auf Partys hat jede Person dann ihre Musik aufgelegt und niemand hatte Vorurteile."

Bis heute finden sich Spuren ihrer Jugend im Sound von Overmono. Die beiden Brüder mischen frühen Rave Sound, Jungle und UK Garage – mit einem besonderen Fokus auf den Moment, an dem alle ihre Arme in die Luft reißen: Knackige Breakbeats, ein wohlig wummernder Bass, dazu euphorische Vocals, die sich im Ohr festsetzen. 2021 hatten Overmono mit "So u kno" ihren ersten großen Hit. Damit sind die beiden Brüder die neueste Inkarnation eines typisch britischen Pop-Phänomens: Dance-Producer aus dem Underground, die Pophits schreiben – so wie Massive Attack, The Prodigy oder die Chemical Brothers vor ihnen.

Geschwister ohne Rivalität

Bis dahin war es jedoch ein langer Weg. Obwohl Ed und Tom Russell seit ihren Teenager-Jahren auflegen und Musik produzieren, haben sie erst 2015 die ersten gemeinsamen Stücke als Overmono veröffentlicht. Zuvor haben die beiden den UK-Dance-Underground aufgemischt. Ed hat als Tessela 2014 ein Jungle-Revival eingeleitet; Tom hat als Truss harten Techno produziert. Nach einem Weihnachtsbesuch bei den Eltern haben die beiden dann gemeinsam Musik gemacht und Overmono war geboren. Geschwisterrivalität verspüren die Russell-Brüder dabei nicht: "Ich kann Ed sagen, dass etwas Schrott ist und er mir", sagt Tom Russell. "Wir streiten uns dann und versöhnen uns wieder. Das wäre nicht so, wenn wir mit einem Freund oder jemandem anderen zusammenarbeiten würden."

Uneindeutigkeit als Soundsignatur

Overmono sind besonders durch ihre Liveshows berühmt geworden. Die beiden Brüder improvisieren dabei live über ihren Stücken – ein DJ-Set mit Synthesizer und Sampler. Auch auf ihrem gerade erschienenen Debütalbum "Good Lies" legen sich Overmono auf keinen Stil fest – ihre Soundsignatur bleibt die Vielseitigkeit. "Was eine gute Lüge ausmacht, dürfte jede Person etwas anders sehen", sagt Tom Russell. "So gehen wir auch an Musik heran. Sie soll uneindeutig bleiben." Auf "Good Lies" haben Overmono erneut Hits für die Peak Time auf der Festivalbühne und im Club produziert. Aber sie lassen auch andere Emotionen zu. "Cold Blooded" ist ein geisterhafter, melancholischer R&B-Song, "Feeling Plains" eine sehnsüchtige Autotune-Ballade, "Walk Thru Water" ein düsterer Drill-Song. Über all diesen Stücken liegt ein Grauschleier -- ein Anflug von Schwermut und Melancholie, sagt Ed Russell: "Es ist ein wenig wie das Gefühl beim Ausgehen, wenn man die beste Nacht ever gehabt hat. Dann wird es hell und die Stimmung wechselt zwischen dieser unglaublichen Euphorie und dem Grauen darüber, dass gleich die Sonne aufgehen wird."

"Good Lies" ist der Soundtrack zu einer Partynacht zwischen Peak-Time-Euphorie und Runterkommen. Aber es ist auch eine Hommage an eine spezifisch britische Form von Dance-Kultur, die sich vom Sounddesign bis zum Artwork des Albums zieht. Dort zeigen Ed und Tom Russell ihre Lieblingshunde: Dobermänner. Es ist eine Referenz an die Drum&Bass-Szene der Neunziger, wo Hunde ein ständiger Begleiter auf Pressefotos waren. Aber es ist auch Symbol dafür, wie die britische Dance-Szene immer wieder missverstanden und zum Sündenbock gemacht wurde: "Wenn Menschen sie nicht misshandeln, ihre Ohren und Schwänze abknipsen oder sie um Kampf gegen Menschen trainieren", sagt Ed Russell, "sind Dobermänner die süßesten, liebenswertesten und verspieltesten Hunde, die es gibt."