A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z
Anton Bruckner

Werkeinführung: Anton Bruckner - Sinfonie Nr. 5 B-Dur

Von Otto Hagedorn

Anton Bruckner ist der große Ambivalente unter den bedeutenden Komponisten. Beeindrucken Beethoven und Brahms etwa durch das Souveräne ihrer Musik, scheinen bei Bruckners Sinfonien stets Fragezeichen im Raum zu stehen. Er hat seinen Werken nicht selten unlösbare Rätsel eingeschrieben: Überraschendes, Widerborstiges, Irritierendes. So auch in seiner Fünften.

Der Weg zur Anerkennung war für Bruckner hart. Voller Hoffnungen zog der 43-Jährige im Jahr 1868 von Linz nach Wien. Am dortigen Konservatorium trat er eine Stelle als Professor für Musiktheorie und Orgelspiel an. Obendrein wurde er Hoforganist. Bruckner bekleidete also angesehene Posten, doch galt der schüchterne Kauz im weltläufigen Wien schnell als ewiger Provinzler. Aber er hatte eine gesunde Portion Ehrgeiz. Zeit seines Lebens kämpfte er darum, als Komponist und Sinfoniker anerkannt zu werden. Aus zwei wesentlichen Gründen war dies schwer. Zum einen disqualifizierte Bruckner sich in Wien durch sein offenes Bekenntnis zu Richard Wagner. Ausgerechnet in dessen Musik sah der führende Musikkritiker Wiens, Eduard Hanslick, den Untergang des Abendlandes. Als Bruckner dann den taktischen Fehler beging, seine dritte Sinfonie Wagner zu widmen, war das Tischtuch zerschnitten. Fortan schrieb Hanslick einen Verriss nach dem anderen über Bruckners Musik.

Der zweite Grund, aus dem Bruckner als Komponist wenig Wohlwollen erfuhr, liegt in seiner Kompositionsweise selbst. Das Publikum seiner Zeit war Sinfonien gewohnt, bei denen zwei kontrastreiche Themen in einen Diskurs treten und dadurch Spannungsbögen erzeugen. Bruckner überforderte seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen allein mit seiner Methode, üblicherweise nicht zwei, sondern drei Themenkomplexe aufzustellen. Hinzu kommt, dass die drei Themen nicht zwangsläufig kontrastreich gestaltet sind, sondern die sinfonischen Konflikte sich erst im Verlauf ihrer Wechselwirkung entfalten. Pointiert könnte man sagen: Wo Beethoven und Brahms in ihren Sinfonien versuchen, das in sich kontrastreiche musikalische Material miteinander auszusöhnen, steuert Bruckner im Verlauf einer Sinfonie auf unerwartete Zuspitzungen zu und führt das Ausgangsmaterial auch schon mal in unlösbare musikalische Konflikte. Das verlangt vom Publikum eine seinerzeit ungewohnte Portion an Geduld.

Im Jahr 1874 verschärfte sich Bruckners persönliche Situation. Da seine Einkünfte nicht ausreichten, bewarb er sich an der Universität, um auch dort Musiktheorie zu unterrichten. Sein Pech: Dem Ausschuss, der darüber zu befinden hatte, saß ausgerechnet der ihm feindlich gesonnene Hanslick vor. Barsch wurde das Ersuchen abgelehnt. Obendrein verlor Bruckner wegen "ungebührlichen Verhaltens" seine Stelle an einer Wiener Mädchenschule, an der er einige Jahre Klavier und Orgel unterrichtet hatte. Wie so oft in schwierigen Lebenslagen stürzte er sich in die Arbeit: das eigene kompositorische Schaffen als sicherer Zufluchtsort. Aus dieser persönlichen Krise erwuchs schließlich die Fünfte – eine seiner komplexesten Sinfonien. Bruckner selbst nannte sie sein "kontrapunktisches Meisterstück". Es liegt auf der Hand, darin einen Reflex auf seine abgelehnte Universitätsbewerbung zu sehen, denn gänzlich unsachlich hatte es in der Begründung geheißen: "Man sieht, daß Herr Bruckner über das Fach, das er lehren will, sich selbst nicht ganz klar ist". Mit der Fünften beweist er sich und der Welt das Gegenteil. So krönt er das Finale mit einer Doppelfuge – einer kompositorischen Herausforderung, die nur zu meistern ist, wenn man sich über das Fach eben doch ganz und gar klar ist.

Bruckners Fünfte kann man insofern als Zeugnis seiner Selbstbehauptung deuten. Umso tragischer, dass es ihm zunächst nicht gelang, eine Uraufführung zu erreichen. Fast 20 Jahre blieb das Werk liegen, bis es 1894 endlich in Graz aus der Taufe gehoben wurde. Der Komponist selbst war zu krank, um diesem Ereignis beizuwohnen. Vielleicht eher ein Glück, denn so blieb ihm die Erkenntnis erspart, dass der Uraufführungsdirigent massiv in den Notentext eingegriffen hatte – im Bestreben, das durchaus Sperrige dieser Musik abzumildern. Auch Bruckners ganzer Stolz, die Doppelfuge, fiel dem Rotstift zum Opfer. Es sollte noch etwa 40 Jahre dauern, bis Bruckners Fünfte 1935 erstmals in ihrer Originalgestalt erklang. So hat sie schließlich doch noch ihren späten Einzug in die Konzertsäle gehalten.