Der Dirigent Jukka-Pekka Saraste

Auf Wiedersehen Jukka-Pekka Saraste

Stand: 03.07.2019, 09:00 Uhr

  • Abschied von Chefdirigent Jukka-Pekka Saraste
  • Rückblick auf neun kreative Jahre
  • "Eine Packung von Erfahrungen und Erinnerungen"

Von Michael Struck-Schloen

Ein Kollege von Jukka-Pekka Saraste hat einmal behauptet, dass ihm schon die Art, wie ein Dirigent die Bühne betritt, viel über die Musik verrate, die er danach zum Klingen bringt. Eine steile These – aber könnte sie doch mehr sein als ein Bonmot unter Fachleuten? Wenn Saraste kurz vor Konzertbeginn aus der Dirigentengarderobe in der Kölner Philharmonie tritt, ist ihm nicht nach lockeren Plaudereien mit den Inspizienten zumute. Der finnische Maestro, ohnehin kein übertriebener Verehrer des gesprochenen Wortes, bleibt unnahbar gespannt und konzentriert.

Jukka-Pekka Saraste dirigiert das WDR Sinfonieorchester

Der "Musik-Ermöglicher" – konzentriert und kontrolliert

Der Gang zum Podium vor dem WDR Sinfonieorchester ist schlaksig, fast ein bisschen fahrig, jedenfalls kein selbstverliebtes Bad in der Menge. Der überwältigende "Auf-Tritt" ist nicht sein Ziel, auch nicht in der Musik. Sie beginnt unter seinem Taktstock meist kontrolliert, entfaltet sich dann aber schnell zu erzählerischen Bögen und überraschenden Energiebahnen. Saraste ist kein Musik-"Darsteller" mit großen Gesten und kokettem Hüftschwung, sondern versteht sich als Musik-"Ermöglicher", dem es auf den großen Atem ankommt.

"Vor allem die großen Sinfonien von Bruckner, Mahler oder Schostakowitsch müssen diesen Atem haben. Bei Schostakowitsch ist das musikalische Material oft sehr einfach, das muss man gar nicht so viel proben. Vielmehr sind die Proportionen und der Ausdruck das Wichtigste – und das Schwierigste." Sagt Jukka-Pekka Saraste und verfällt wieder in Schweigen. An diesem Morgen steht eine Probe mit dem WDR Sinfonieorchester an, auf dem Programm stehen Schostakowitschs elfte Sinfonie und das Violinkonzert "Concentric Paths" vom Engländer Thomas Adès. Drei Konzerte bleiben Saraste und "seinem" Orchester noch, dann übernimmt ein neuer Mann den edlen Klangkörper und wird versuchen, ihn nach eigenen Klang- und Repertoirevorstellungen zu formen.

Wehmut und Distanz

Jukka-Pekka Saraste

"Mehr Freiheiten im Spiel"

Ein Moment der Wehmut? Saraste schweigt und blickt vom Museumscafé auf den Platz über der Philharmonie, hinter dem der Rhein wie stets von rechts nach links fließt und Containerschiffe sich unter der Hohenzollernbrücke ducken. "Ja, schon", sagt er unvermittelt. "Alle Perioden in meinem Leben sind für mich eine Packung von Erfahrungen und Erinnerungen. Und ich muss sagen, dass ich sehr zufrieden bin mit unseren letzten Projekten. Das Orchester ist jetzt wirklich ein Instrument, das man auch loslassen kann und muss, es hat eine großartige Motivation, Musik zu machen. Das war am Anfang nicht immer so, aber jetzt finde ich es wunderbar."

Zeitgenössische Sicht auf den Klassiker

Die "letzten Projekte", das waren vor allem die Aufnahmen aller Beethoven-Sinfonien. Nach und nach hat sie der WDR in der Kölner Philharmonie mitgeschnitten, 2019 sind sie gebündelt in der Reihe "The Cologne Broadcasts" (Edition Günter Hänssler) erschienen. Die Kritiken waren glänzend, und vielleicht wird die CD-Box ja dereinst neben dem Bruckner-Zyklus mit Günter Wand und dem Mahler-Zyklus mit Gary Bertini zu den legendären Gesamteinspielungen des WDR Sinfonieorchesters zählen. In jedem Fall ist Sarastes Beethoven-Lesart eine sehr zeitgenössische Sicht auf den Klassiker, der immer wieder als Prüfstein für ästhetische Wandel in der Spielkultur diente – auch für die Alte-Musik-Bewegung, die Jukka-Pekka Saraste seit den siebziger Jahren aufmerksam verfolgt. "Damals war das ein sehr frischer, aber auch etwas demonstrativer Zugang. Jetzt kommt es darauf an, diese wiedergefundenen Grundlagen mit unseren eigenen Gefühlen zu bereichern. Das verhindert eine gewisse schulmeisterliche Haltung und schafft mehr Freiheiten im Spiel."

Freiheiten, loslassen, sich entwickeln lassen – wenn Saraste über seine Arbeit mit dem Orchester spricht, klingt das manchmal nach Basisdemokratie und kumpelhaftem Umgang. Nichts wäre falscher. "Ich glaube, dass sich Arbeitsmethode und Autorität des Dirigenten in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt haben. Die Arbeit basiert heute mehr auf Verständnis und gegenseitiger Akzeptanz als auf strikten Befehlen, wie das früher üblich war. Nur: die Verantwortlichkeit hat sich nicht geändert. Ein Dirigent muss Entscheidungen treffen, er muss eine klare Idee davon haben, was er will." Und das beste Mittel, um seine Ideen umzusetzen, sieht Saraste in der respektvollen Distanz zu den Orchestermitgliedern. "Es gibt viele gute Freunde im Orchester, und ich habe auch nichts dagegen, mal mit den Musikern ein Bier zu trinken. Aber die Arbeit muss immer sehr objektiv sein. Alle müssen die gleichen Möglichkeiten haben, niemand darf bevorzugt werden. Deshalb brauche ich Distanz."

Der "moderne" Dirigent

Jukka-Pekka Saraste

Selbstbewusstsein und Willenskraft

Diese "objektive" Art der Annäherung an Musik unterscheidet Saraste, den im besten Sinne "modernen" Dirigenten, von früheren Musikdarstellern: dem vom Glauben an die Inspiration beseelten Wilhelm Furtwängler oder dem medienwirksamen Leonard Bernstein mit seinen akrobatischen Einlagen, der schweißtriefenden Identifikation mit der Musik. Solche Arten von Performance wirken heute – bei allen künstlerischen Meriten dieser Heroen – einfach unzeitgemäß. Saraste hat bei seinem Lehrer, der urfinnischen Dirigentenlegende Jorma Panula, jedenfalls gelernt, die professionelle Distanz überall zu beachten – außer bei der eigenen Persönlichkeit. "Panulas wichtigste Botschaft", erinnert sich sein Schüler, "war, dass die Persönlichkeit des Dirigenten sich selbst treu sein müsse. Das ist es auch, was mich an großen Dirigenten immer beeindruckt hat: ihr Selbstbewusstsein und ihre Willenskraft, die sie unbeirrbar in allen Entscheidungen macht. Die Überzeugung von der Richtigkeit der eigenen Arbeit teilt sich auch dem Orchester und dem Publikum mit."

Über seine Heimat, seine "roten Fäden " und seine Zukunft spricht Jukka-Pekka Saraste hier in Teil 2.