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Béla Bartók

Werkeinführung: Béla Bartók - Herzog Blaubarts Burg

Von Michael Struck-Schloen

Die Botschaft von "Herzog Blaubarts Burg" ist fatalistisch: Das Schicksal des Menschen, vor allem das der Geschlechter, ist unveränderlich – und alle Versuche der Befreiung aus psychischen Zwängen zerstören die Liebe.

Mit seinen sexualneurotischen Eskapaden gehört der Ritter Blaubart zu den großen Bösewichten der Literaturgeschichte, für den auch ein historisches Vorbild existiert: Baron Gilles de Rais, ein Waffenbruder der Jeanne d’Arc, war einer der berüchtigtsten Serienmörder der Geschichte und soll 140 Kinder gefoltert und getötet haben – ein Scheusal, das Charles Perrault 1697 zur bekanntesten Version der Geschichte im Märchenbuch "Contes de ma Mère l’Oye" (Märchen meiner Mutter Gans) inspirierte. Hier wird Blaubarts letzte Frau in allerletzter Sekunde vor dem tödlichen Schicksal ihrer Vorgängerinnen bewahrt. Um 1900 erfuhr die Blaubart-Legende dann eine Art Renaissance, die eng mit der wissenschaftlichen Erforschung psychischer Abgründe durch Sigmund Freud und andere zusammenhing. Maurice Maeterlinck ließ den Lustmörder in seinem symbolistischen Drama "Ariane et Barbe-Bleue" auftreten, das von Paul Dukas kongenial vertont wurde. Eine weitere moderne Version des Blaubart-Stoffes verfasste um 1910 der aus Szegedin stammende Béla Balázs. Schon der Prolog der Oper deutet die Verlagerung von der Action-Story zur Seelenparabel an:

"Nun hört das Lied.
Ihr schaut, ich schaue euch an.
Aufgeschlagen sind die Wimpernvorhänge unserer Augen.
Doch wo ist die Bühne: außen oder innen,
Männer und Frauen?
Bitterkeit und Glück, längst bekannte Dinge,
Die Welt draußen ist voller Feinde,
Aber nicht daran sterben wir,
Männer und Frauen."

Die Ansprache an alle "Männer und Frauen" erinnert an mittelalterliche Epen, und der Hinweis, dass nicht äußere Feinde unser Schicksal bestimmen, sondern die innere Verfassung, führt auf den Kern von Balázs’ äußerst konzentrierter Handlung: Menschen, vor allem Männer, sind umgeben von undurchdringlichen Panzern, an denen der Partner nicht kratzen darf. Der Titel der Oper bezeichnet also weniger einen pittoresken Schauplatz als einen verletzlichen Seelenraum.

"Doppelter Regenbogen"

Blaubarts junge Geliebte trägt bei Balázs den biblischen Namen Judith, was auf ihre Opferbereitschaft, aber auch auf ihre Furchtlosigkeit hindeutet – auf jeden Fall will sie Licht in die Seele des schweigsamen Herzogs bringen. Sieben Türen führen zu den geheimen Kammern des männlichen Ichs. Gegen den Widerstand von Blaubart wird Judith sie mit ihrer Hartnäckigkeit, die keine Geheimnisse duldet, alle öffnen: die Folterkammer als Symbol von Grausamkeit und Gewalt, die Waffenkammer, die den Kriegsherrn symbolisiert, die Schatzkammer und den Garten. Überall entdeckt Judith Blut, doch sie fragt weiter. Die fünfte Tür führt zu Blaubarts unermesslicher Macht – doch mit dieser Szene schlägt die Stimmung um. Ein bleicher See aus Tränen befindet sich hinter der sechsten Tür, und auf Judiths Frage, welche Frauen Blaubart vor ihr besessen habe, öffnet sich die siebte Tür. Statt der erwarteten Leichen der Verflossenen erscheinen drei Frauen mit dem Schmuck des Morgens, des Mittags und Abends – jetzt schmückt Blaubart Judith mit den Insignien der Nacht: "Du warst doch die Allerschönste." Am Ende bleibt Blaubart allein und deprimiert in der Dunkelheit zurück: "Nacht bleibt es nun ewig."

Oskar Zwintscher (1870 – 1916): "Weidenbäume bei Nacht" (1904)

Oskar Zwintscher (1870 – 1916): "Weidenbäume bei Nacht" (1904)

Bartóks Tonsprache ist karg und konzentriert, nur selten blüht das Orchester zu voller Pracht auf. Der Ton bleibt verhalten und harmonisch in der Schwebe; ein eisiger Windhauch durchzieht die Partitur. Es gibt Anklänge an die Klangsinnlichkeit eines Debussy, doch wird Bartók immer dann am persönlichsten, wenn er – meist im Zusammenhang mit der Titelfigur – die Volksmusik von Ungarn bis Siebenbürgen anklingen lässt, die er wenige Jahre zuvor mit Zoltán Kodály auf langen Reisen erforscht hatte. Doch diese nationalen Einflüsse haben nie den Ruch folkloristischer Anbiederung, sondern sind vollkommen in Bartóks dissonant aufgeladenen Stil integriert.

In der Rekordzeit von sechs Monaten hat Bartók im Jahr 1911 die Komposition seiner ersten (und letzten) Oper abgeschlossen. Doch Bartóks gespanntes Verhältnis zur akademischen ungarischen Musikszene brachte es mit sich, dass sein "Blaubart" erst am 27. Mai 1918 im Opernhaus von Budapest uraufgeführt wurde und durchaus freundliche Resonanz fand – vor allem bei Bartóks Freund Kodály, der feststellte, dass "der Bogen des Dramas und der parallele Bogen der Musik sich gegenseitig zum großartigen, doppelten Regenbogen verstärken". Eine feine Beobachtung, denn Bartóks Musik beschreibt tatsächlich einen großen Bogen der allmählichen Auflichtung und erneuten Verdunkelung bis zur düsteren Stimmung des Beginns.