Hommage an London

Der neue Chefdirigent des WDR Funkhausorchesters Frank Strobel im Gespräch mit Luzie Teufel.

Was ist das Besondere an London?

Für mich war London immer eine durch und durch tolerante Stadt, und die Pubs sind für mich ein Synonym für London. Hier trifft sich alle Welt, hier kommen so viele unterschiedliche und spannende Einflüsse zusammen. Das spielt auch für die Musik und die Kultur eine große Rolle. Ausdruck dieser sehr offenen Art sind die Proms, ein traditionsreiches Sommerfestival mit Promenadenkonzerten, die vorwiegend in der Royal Albert Hall stattfinden. Die Leute sitzen, stehen und picknicken, als wären sie im Park beim Open Air Konzert. Die Proms sind wie ein Pub, sie versinnbildlichen London als einen Melting Pot. Viele musikalische Stile werden präsentiert, und die Künstler:innen kommen aus vielen Orten der Welt nach London. Es ist ein Grenzen überschreitender Ort.

Der Konzertabend trägt den Untertitel »Ein grenzenloses musikalisches Fest«. Holen Sie einen Teil dieses Grenzenlosen der Proms ins Funkhaus?

Frank Strobel

Frank Strobel

In diesem Titel sind für mich zwei Wörter entscheidend: Das erste Wort ist grenzenlos. Wir sind im Moment unglaublich begrenzt in jeglicher Hinsicht. Mir ist wichtig, die Scheuklappen zu öffnen. Der Blick soll über Grenzen hinausgehen, das bedeutet für mich das Wort »grenzenlos«. Aber es soll auch ein Fest sein! Denn ich finde, man lebt nur einmal, und das Leben soll Spaß machen – es soll lukullisch sein.

Was für eine Stimmung möchten Sie im Funkhaus erzeugen?

Das, was für mich die Proms ausmachen, ist der Programmmix: Manche Stücke kennt und liebt man, manche überraschen. In meine Programme möchte ich immer etwas Überraschendes mit hineinnehmen! Bei London Life spielen wir hochromantische Hollywood-Sinfonik, und unmittelbar danach folgt ein Barock-Stück – das ist ein harter Bruch und für unser Publikum sicher manchmal verblüffend.

Kontraste und Überraschungen erwarten uns. Aber was eint die Stücke?

Es ist ein recht politisches, ein gesellschaftspolitisches Programm: »Blackbird « von den Beatles ist verbunden mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA. In Prokofjews »Ouvertüre über hebräische Themen« geht es um jüdische Emigrant:innen. »Bohemian Rhapsody« von Queen bezieht sich HOMMAGE AN LONDON auf gesellschaftliche Konventionen; mutmaßlich hat Freddy Mercury seine eigene Rolle als Homosexueller verarbeitet. Elton John begehrt in seinen Songs auf und steht für gesellschaftliches Engagement. Dann Ethel Smyth, die eine große Rolle in der Frauenrechts-Bewegung in England gespielt hat. Und schließlich landen wir bei Mendelssohn Bartholdys »Sommernachtstraum«, der Musik zu Shakespeares gleichnamiger Komödie. Und mit Shakespeare sind wir bei dem »Engländer schlechthin«: In ihm und seinen Werken steckt alles drin, was eine Gesellschaft ausmacht.

Es steckt auch viel Geschichte im Programm. Was ist das Besondere an der Beziehung zwischen London und seinen Musiker:innen?

In London wurden Personen oder Gruppen zu Kultfiguren, das zieht sich durch die Zeiten. Das beste Beispiel haben wir im Programm: Händel. Er war eine Kultfigur in London, so berühmt wie im 20. Jahrhundert die Beatles. Und der Britpop wäre ohne Londons Produktivität und Kreativität nicht in die Welt-Geschichte des Pops eingezogen. Wenn London eine Musik wäre, welche wäre das? Musikalisch gesehen war die Barockzeit enorm wichtig. Aber obwohl ich vom Orchester komme, ist es für mich tatsächlich der Britpop. Denn der ist anarchistisch und ein Aufschrei einer eingeengten Gesellschaft.