Personalmangel

Personalmangel bei Flughäfen, Restaurants, Handwerksbetrieben: Wo sind die Fachkräfte hin?

Stand: 16.06.2022, 13:26 Uhr

Flugausfälle, lange Wartezeiten in Restaurants und zu wenig Handwerker – in vielen Branchen fehlen Mitarbeiter. Die Pandemie hat den Arbeitsmarkt verändert. Doch wohin sind die Arbeitskräfte abgewandert?

Von Ute Schyns

Chaotische Zustände an den Flughäfen haben bereits am Pfingstwochenende für jede Menge Frust unter Urlaubern gesorgt. Viele mussten stundenlang vor geschlossenen Schaltern warten, einige Flüge hatten sich zudem stark verspätet. Der Grund: Personalmangel.

Egal, ob es die Bodendienstleister sind, die sich zum Beispiel um die Koffer kümmern, der Check-In oder die Sicherheitskontrolle: Etwa 20 Prozent des Personals fehlen, sagt Isabelle Polders, Sprecherin beim Flughafenverband ADV. Zwei Jahre Corona-Pandemie mit Kurzarbeit, Unsicherheit und Entlassungen haben tiefe Spuren hinterlassen. Mittlerweile ist Reisen zwar fast wieder wie früher möglich, doch viele Mitarbeitende sind weg.

Es fehlen aber nicht nur Fachkräfte

"Dabei wird in der aktuellen Diskussion vieles in einen Topf geworfen", sagt Christoph Löhr, Sprecher bei der Bundesagentur für Arbeit in NRW. "Wenn zum Beispiel an Flughäfen Sicherheitsleute mit der passenden Schulung fehlen, sind das nicht zwangsläufig Fachkräfte mit einer dreijährigen Ausbildung." Was aber nichts daran ändert, dass die Abläufe wegen fehlenden Personals nun ins Stocken geraten können.

Viele offene Stellen in der Gastronomie

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Gastgewerbe: Auch das ist eine Branche, die unter den Corona-Auflagen stark gelitten hat und in der jetzt die Leute fehlen. In einer Verbandsumfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga NRW haben 200 Betriebe angegeben, mehr als die Hälfte ihrer Vollzeitstellen nicht besetzen zu können. Rund 80 Prozent suchten zudem Mini-Jobber, sagt Dehoga NRW-Sprecher Torsten Hellwig.

Bild von einer Massenabwanderung ist falsch

Einige ehemals arbeitslose Kellnerinnen und Kellner haben der Branche den Rücken gekehrt und sind zum Beispiel zu Testzentren, Lieferdiensten oder in die Transportbranche gewechselt - Bereiche, die in der Krise gewachsen sind. Das zeigt auch eine Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB.

Doch eine Massenabwanderung von Arbeitskräften hat es während der Pandemie nicht gegeben. Unter dem Strich sind sogar weniger Jobs beendet worden als vor der Krise.

Die Personalnot etwa in der Gastronomie oder an Flughäfen sei vor allem dadurch entstanden, dass die Unternehmen in der Krise weniger neue Mitarbeiter eingestellt hätten. Das sagt IAB-Arbeitsmarktexperte Enzo Weber. Eine Lücke, die sich innerhalb kurzer Zeit nicht schließen lasse: "Wenn ich sowieso eine hohe Fluktuation habe, wie es sie in vielen Helferjobs in der Gastronomie oder zum Beispiel auch in der Gepäckkontrolle am Flughafen oft gibt - und dann plötzlich wieder aufmache, dann stehe ich vor dem Problem, dass ich so schnell die Leute nicht bekomme".

Bestand an offenen Stellen erreicht in NRW Höchststand

Das Problem: Viele Beschäftigte sind inzwischen bei der Jobwahl wählerischer geworden und das Angebot ist groß. Im Mai hatte die Zahl der offenen Stellen in NRW mit rund 170.000 sogar einen neuen Höchststand erreicht. "Am stärksten war der Anstieg in der Gastronomie", sagt Christoph Löhr von der Bundesagentur für Arbeit in NRW.

In dem Bereich habe sich die Zahl der offenen Stellen mit einem Plus von 145 Prozent weit mehr als verdoppelt. Auch in den sogenannten wirtschaftsnahen Dienstleistungen waren viele Stellen unbesetzt (plus rund 60 Prozent). "Das umfasst zum Beispiel die Anwaltskanzleien, Immobilienunternehmen, Architekten oder den Sicherheitsdienst."

Der Personalmangel entwickelt sich zu einem Problem für die gesamte Wirtschaft, mahnt Klaus Bourdick, Fachkräfte-Experte der Industrie- und Handelskammern in NRW: "Das ist mittlerweile breit gefächert und geht über die Bauindustrie, über die Produktion, die produktionsnahen Berufe, die technischen Berufe und die Berufskraftfahrer."

Arbeitskräftemangel wird zum Geschäftsrisiko

Bei einer Umfrage unter Verbandsmitgliedern der IHKs in NRW von Herbst 2021 hatte mehr als jeder zweite (55 Prozent) Betrieb angegeben, dass er im Fachkräftemangel ein wirtschaftliches Risiko sieht. Viele Fachkräfte fehlen zudem im IT-Bereich, in der Pflege und im Handwerk, erklärt Alexander Konrad, Sprecher bei Handwerk NRW: "Im Bauhandwerk ist der Mangel am drängendsten. Aber wir haben auch in den Gesundheitshandwerken größere Probleme, etwa bei den Sanitätshäusern und in der Orthopädie-Technik. Aber zum Beispiel auch in Fleischereien und Bäckereien gibt es enorme Probleme."

Schlechte Arbeitsbedingungen und demographischer Wandel

In einigen Branchen wird der Fachkräftemangel durch zusätzliche Probleme verschärft, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber: "Es gibt einige Fälle wie zum Beispiel in der Pflege, wo sicherlich Arbeitsbedingungen und Bezahlung noch nicht ausreichen, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden."

Und im Handwerk räche sich, dass die berufliche Ausbildung gegenüber der akademischen für viele junge Menschen offenbar an Attraktivität verloren habe. Schuld an der Misere ist für Alexander Konrad, Sprecher bei Handwerk NRW, eine fehlgeleitete Bildungspolitik. Die habe zu lange auf Abitur und Hochschulen als Königsweg in der Qualifizierung gesetzt. 

Doch ein wesentlicher Grund dafür, dass Arbeitskräfte in Deutschland in allen Bereichen knapper werden, ist der demographische Wandel. Er führt dazu, dass jedes Jahr mehrere Hunderttausend Menschen mehr in Rente gehen als Jüngere nachrücken. Das konnte bisher durch Zuwanderung ausgeglichen werden und dadurch, dass Frauen mehr arbeiten und Ältere länger.

"Doch der Demographie-Effekt wird jetzt in den 2020er Jahre erst so richtig durchschlagen“, sagt Arbeitsmarktexperte Enzo Weber. Dann werden die geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer-Generation in Rente gehen.