Steinfurt 1604 - Ein ganzer Ort auf Zeitreise

Stand: 09.08.2022, 19:59 Uhr

Generalprobe für ein besonderes Historienspiel: Am Samstag wollen rund 300 Burgsteinfurter Bürger das Alltagsleben von vor 400 Jahren wieder lebendig werden lassen.

Von Oliver Steuck

Stine hat den Männern wiederholt schöne Augen gemacht und zänkisch ist das Weib obendrein. Leugnet alle Vorwürfe. Dafür kam man 1604 schon mal vor Gericht. Und zwar mitten auf dem Marktplatz. Lena Sundermann, die die Stine spielt, wird am Samstag für die Besucher gleich mehrmals hintereinander verurteilt werden.

Eine Frau mit Magd-Haube kniet auf dem Boden. Im Hintergrund stehen Zuschauer.

Lena Sundermann spielt Stine, ein zänkisches Weib und eine Ehebrecherin

Am Ende landet sie rückwärts auf einem Holzesel und wird unter dem Gejohle des Volkes quer über den Markt gezogen. So war das damals und vielleicht fliegen auch ein paar Eier. Auf die kann sich auch der Schwarzräucherer gefasst machen, dem vorgeworfen wird, rechtswidrig Aale gefangen zu haben. Alles soll so authentisch wie möglich sein.

Viele Bürger spielen mit Begeisterung mit

Schon bei der Generalprobe ist allen Beteiligten anzumerken, dass sie richtig Spaß an ihrer Zeitreise haben. Mehr als 300 Burgsteinfurter Bürger wollen dieses Mal mitwirken. So viele wie noch nie. Sie spielen Knechte, Mägde, Spielleute oder marodierende Söldner. Alles ehrenamtlich. Alle haben recherchiert, damit sie ihre Rollen historisch korrekt gestalten.

Eine Frau mit einem Magd-Haube vor einem Gebüsch

Vera Menzel ist Stadtführerin und hat "Steinfurt 1604" mit aus der Taufe gehoben.

Vera Menzel, die das Historienspektakel vor genau zehn Jahren mit ins Leben rief, ist selbst ganz erstaunt, wie groß die Begeisterung inzwischen ist. Hervorgegangen ist das Ganze aus einer historischen Stadtführung. Da spielt sie, die im wahren Leben Gärtnerin ist, seit langem die Hebamme und Kräuterkundige.

Aus einer Stadtführung entsprang die Idee

Es ist die Alltagsgeschichte der ganz normalen Menschen, von der Vera Menzel dann erzählt. Und genau das ist es, was die Besucher und die Mitwirkenden auch hier gleichermaßen packt. "Steinfurt 1604" erzählt "nicht von der Obrigkeit, nicht vom Adel, sondern wie die einfachen Leute gewohnt haben, wie sie ihre Notdurft verrichtet haben oder wie man sie verurteilt hat, wenn sie Ehebruch begangen haben oder ähnliches."

Drei mittelalterlich gekleidete Frauen stehen vor einem Teich

Waschweiber an der Schlossgräfte

Oder auch wie sie Wäsche gewaschen haben. Sogar der Privatgarten des Steinfurter Schlosses wird ausnahmsweise für diese Veranstaltung geöffnet. Dort stehen die Waschweiber an der Gräfte und waschen mit selbst hergestellter Seife aus Buchholzasche.

Kirche kurz nach der Reformation

Bei "Steinfurt 1604" ist auch der Pfarrer echt. Bernd Krefis ist zwar im Ruhestand, aber hier schlüpft er in die Rolle des Hofpredigers Johann Bernhard Corvinus. Als evangelischer Pfarrer hätte sein Alter Ego in einer spannenden Zeit gelebt. Die Reformation war gerade erst geschehen und Steinfurt war nur eine kleine protestantische Gemeinde im sonst tief katholischen Münsterland.

Eine mittelalterlich gekleidete Frau kniet mit einem Stock in der Hand vor drei Laufenten.

Jule hat mit ihren Gänsen monatelang trainiert.

Besucher werden am Samstag ganz viele Geschichten über das Alltagsleben vor 400 Jahren erfahren. Sie werden überall in der Stadt Handwerkern und Gauklern begegnen. Können ihr Glück beim Rattenroulette versuchen oder Esel und Ziegen in die Augen schauen. Und Gänsemagd Jule ist auch da. Monatelang hat sie die Tiere auf ihren großen Auftritt vorbereitet... nämlich ihr einfach durch die Menschenmenge zu folgen und nicht stiften zu gehen.

Erfolgreiche Generalprobe

Bei der Generalprobe hat alles geklappt. Am Samstag, wenn es zwischen 14.30 und 19 Uhr ernst wird, wird aber trotzdem alles anders sein, meint Vera Menzel. Sie kennt das schon. Aber weil alle mit so viel Herzblut dabei sind, wird es trotzdem richtig gut, sagt sie. Nur einen letzten Tipp noch für alle Besucher, die "Steinfurt 1604" live erleben wollen: Schauen Sie zwischendurch in den engen Gassen auch mal nach oben. Kann sein, dass gerade über Ihnen eine Latrine aus dem Fenster geleert wird… Aber keine Angst, es wird nur Wasser sein…

Über dieses Thema berichten wir in der Lokalzeit Münsterland im Hörfunk auf WDR 2 und im WDR Fernsehen um 19.30 Uhr.