Glücksfall für Südwestfalen: Uni Siegen

Stand: 05.05.2022, 07:46 Uhr

1972 wird in Siegen eine neue Gesamthochschule eröffnet. Johannes Rau hält die Festrede. 50 Jahre später ist die Uni aus der Stadt nicht mehr wegzudenken.

Von Gerrit Saßmann

Dr. Rainer Baumgart aus Hilchenbach begann sein Studium der Physik im Wintersemester 1977/78, schaffte 1984 die Diplomprüfung und erwarb 3 Jahre später den Doktorgrad. Zum 50. Geburtstag besucht er seine alte Uni gemeinsam mit seiner Frau Jutta, die hier Lehramt studierte.

Die Hochschule war damals noch ganz neu, die Hörsäle bunt. "Im gelben Hörsaal war Physik, hier im blauen Hörsaal wurden Klausuren geschrieben, weil er so groß war und man da Abstand halten musste."   

 "Bildung für alle"  

Anfang der 1970er rollen die Bagger auf dem Haardter Berg, die ersten Universitätsgebäude entstehen. Die letzten Erzgruben im Siegerland sind gerade erst geschlossen - Wissen soll die neue Ressource werden. Damals ist die Gesamthochschule Siegen eins von fünf neuen Hochschulprojekten in NRW

Und: Nur fünf Prozent eines Jahrgangs studieren, das ist zu wenig für sozialdemokratische Bildungspolitiker. Die SPD-Landesregierung setzt auf eine breite Akademisierung. Johannes Rau, damals SPD-Wissenschaftsminister des Landes NRW, spricht in seiner Festrede am 1. August 1972 von einem Stück mehr Chancengleichheit. 

Studieren ohne Abi 

Die alte Pädagogische Hochschule und die Siegener Ingenieurschule waren die Keimzelle, um sie herum entstand die Uni mit dem damals neuen Konzept der Gesamthochschule. Rainer Baumgart war Fachoberschüler und gelernter KFZ-Mechaniker.

Die Universität war ein Glücksfall für mich. Sie ist ein markanter Punkt in meiner Biografie. Dr. Reiner Baumgart, ohne Abi zum Doktor der Physik

An der neuen Gesamthochschule konnte er ohne Abitur Naturwissenschaften studieren. In Mathe musste er sich nachqualifizieren. "Die Betreuung durch das Lehrpersonal war sehr eng, wir hatten gute Kontakte zu Professoren und Dozenten, alle waren hoch motiviert. Dass man in Siegen ohne Abi studieren konnte, war damals ein Novum in der Bundesrepublik."

"Bildungshügel" Haardter Berg 

Jeden Tag ging es buchstäblich bergauf. Fast 4.000 Studierende mussten täglich zur Vorlesung auf den Haardter Berg. Wie Rainer Baumgart und seine Frau kamen die meisten aus der Region, wohnten günstig bei ihren Eltern zu Hause. 

Es wurden Ingenieure, Lehrer, Wirtschafts- und NaturwissenschaftlerInnen ausgebildet. Die Siegener fremdelten anfangs noch etwas mit ihrer neuen Uni, die Anwohner auf dem Haardter Berg verteidigten ihre Parkplätze. Rainer Baumgart: "Der angestammte Siegerländer empfand die Uni doch als etwas Ungewöhnliches, blieb distanziert." 

Uni wird Rettungsanker 

Später in den neunziger Jahren erlebt die Universität einen Ansturm, platzt aus allen Nähten. Kein Wunder - inzwischen studieren 13.000 junge Leute hier. Vom Bildungshügel aus kommt die Uni allmählich mit vielen Gebäuden in die Stadt, die sich seit 2012 Universitätsstadt nennt. 

Spektakulärer Coup des derzeitigen Hochschulrektors Univ.-Prof. Dr. Holger Burckhart: Die Uni zieht ins Untere Schloss, übernimmt außerdem auch noch die Gebäude eines Krankenhauses und Teile eines Kaufhauses. Sie wird damit zum Rettungsanker für die Siegener Oberstadt. Prof. Holger Burckhart: "Die Region hat die Uni anfangs ausgeschlossen aus ihrer Mitte, jetzt holt sie sie wieder in ihre Mitte." 

 Glücksfall für die Region 

Rainer Baumgart hat der Universität viel zu verdanken. Vom Kfz-Mechaniker ohne Abitur hat er es zum Doktor der Physik und beruflich später bis zum Vorstandsvorsitzen eines Börsen-Unternehmens geschafft.  "Die Universität war ein Glücksfall für mich. Sie ist ein markanter Punkt in meiner Biografie."

 Über dieses Thema berichtet der WDR im Fernsehen und im Radio am 05.05.2022 in der Lokalzeit Südwestfalen.