Frau kauert in einer Ecke. Im Vordergrund eine geballte Männerfaust. (Symbolbild Gewalt gegen Frauen)

Partnerschaftsgewalt: Täter schafft Absprung

Stand: 25.11.2022, 09:56 Uhr

Über viele Jahre misshandelt Lukas seine Partnerinnen. Bei einem Trainingsprogramm, gemeinsam mit anderen Tätern, stellt er sich erfolgreich seinen Aggressionen.

Von Steven Hartig

Lukas ist um die 30, kommt aus OWL und trägt eigentlich einen anderen Namen. So aufgeregt wie heute, das sagt er uns, als wir ihn treffen, war er noch nie. Denn Lukas möchte offen sprechen – über seine eigene Gewalt und den Kampf dagegen.

Erste Ohrfeige mit 16 Jahren

Schon als Kind schlägt Lukas jahrelang seine Mutter, mit 16 trifft es das erste Mal seine Freundin: "Es kam zu einer Situation, wo ich meine damalige Freundin wegen etwas kritisiert habe, wo sie die Kontrolle verloren hat. Daraufhin hat sie mir dann gesagt, dass ich gut reden hätte, vom Thema Kontrolle hätte ich ja selbst keine Ahnung. Und damals hab ich ihr dann halt eine Ohrfeige gegeben."

Es ist Lukas' erste Beziehung und bei dieser Ohrfeige bleibt es nicht. Über die Jahre misshandelt Lukas vier verschiedene Partnerinnen.

Gewalt und Frust stauen sich auf

Die Auslöser seien meistens Kleinigkeiten, sagt Lukas. Kleinigkeiten, die ihn nerven würden, die er nicht so gut verarbeiten könne. "Das ist ein bisschen wie der letzte Knopf am Hemd. Gewalt und Frustration stauen sich durch andere Sachen auf. Dadurch, dass du nicht in der Lage bist, dem Partner zu sagen: Hey, ich bin frustriert, ich muss da gerade mit umgehen." Die Ursache der Gewalt liege eben nicht beim Partner, sondern bei einem selbst, so Lukas.

Seine Partnerin zu Boden stoßen, mit Gegenständen werfen – all das fühlt sich für ihn an wie Kontrolle, Erleichterung. Aber nur für den ersten Moment. Täter wie Lukas, das sagt er selbst, wissen ganz genau: Es ist falsch, was sie tun.

Gravierende Folgen für Partner und Beziehung

"Die Wahrheit ist, dass ich gemerkt habe, dass es meine Partner zerstört hat – geistig, emotional, psychisch. Nähe wurde immer seltener, es kam immer wieder zu neuen Streits, es war irgendwann einfach kein Vertrauen zueinander da. Es war immer diese Spannung, wann passiert das nächste Mal was."

Seine letzte Freundin schenkt ihm nach der Trennung ein Buch über häusliche Gewalt. Plötzlich muss er seine Aggressionen aus der Perspektive der Opfer betrachten – für Lukas ein wichtiger Moment. Auch mit der Justiz hat er da schon öfter Kontakt gehabt, doch über Bewährung und Therapie-Auflagen gehen die Urteile nicht hinaus.

Trainingsprogramm als Rettungsanker

Erst in der Bielefelder Männerberatung "man-o-mann" findet er wenig später, im Sommer vergangenen Jahres, die richtige Unterstützung. Hier lernt er, in einem Trainingsprogramm gemeinsam mit anderen Tätern, seine Aggressionen besser zu verstehen.

"Ich war erstmal ängstlich, alles offen hinzulegen", sagt Lukas über seine Ankunft in der Männerberatung. "Ich hab erwartet, dass ich hier nicht mit Samthandschuhen angefasst werde, dass man mir auch unangenehme Fragen stellt." Und so sei es dann auch gekommen: "In meinem ersten Gespräch wurde ich gefragt: Warum erst jetzt? Wo du doch schon seit Jahren häusliche Gewalt ausübst? Das war natürlich wichtig für mich.“

Männer werden nicht an den Pranger gestellt

Im Hintergrund zu sehen ist Gestalttherapeut Helge Rettig, im Vordergrund, mit dem Rücken zur Kamera, sitzt Lukas

Helge Rettig (links) im Gespräch mit Lukas (rechts)

Lukas durchlebt 25 Sitzungen harte emotionale Arbeit – Empathie entwickeln, Notfallpläne überlegen, Bedürfnisse formulieren, Grenzen setzen. Acht bis zehn Männer können seit 2011 gleichzeitig an diesem Programm teilnehmen, kostenlos, finanziert durch die "Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt" und das Land NRW. Für ein klares Ziel: glücklichere Partnerschaften ohne Gewalt.

Männer wie Lukas an den Pranger zu stellen, helfe auf diesem Weg nicht. "Es ist völlig klar, dass die Taten, die die Männer begangen haben, so nicht akzeptiert werden und dass sie zu 100 Prozent verantwortlich sind für das, was sie tun", erklärt Gestalttherapeut Helge Rettig, der gemeinsam mit einem Kollegen das Trainingsprogramm leitet. "Aber da geht es um die Taten, nicht um die Männer selbst. Die Männer sind hier nicht vor Gericht."

Tätersein ist eingewoben in Biografie

Verstehen statt Bewerten, das sei das Ziel. Verstehen, wie passieren kann, was nicht passieren darf. Die größte Hürde dabei für Männer – sich überhaupt einzugestehen: Ich habe ein Problem, ich bin Täter. Wie Lukas beschönigen viele Männer jahrelang ihre Gewalt und weigern sich, dafür Verantwortung zu übernehmen.

Dabei gehe es nicht nur um die rein kognitive Erkenntnis, eine Tat begangen zu haben, so Rettig. Sondern darum, "wirklich anzuerkennen, das ist eingewoben in meine Biografie, in meine Struktur, das ist ein sehr komplexes Phänomen, was irgendwelche Anfänge hat, von denen ich vielleicht gar nichts weiß."

Seit ein paar Monaten hat Lukas eine neue Freundin. Die erste Beziehung seines Lebens ohne Gewalt. "Ich bin stolz darauf, dass ich es so weit geschafft habe, dass ich mich von dieser Gewalt abgrenzen konnte." Eine schöne Beziehung führen – vor dem Gruppenprogramm habe er sich das nie zugetraut.

Rückfälle sind möglich

Doch Rückfälle, ähnlich wie bei trockenen Alkoholikern, sind nie ausgeschlossen. "Sie müssen wachsam sein, aktiv bleiben und das, was sie gelernt haben in der Gruppe, beherzigen", so Rettig. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder gewalttätig werden, sei bei Männern wie Lukas aber geringer, "weil sie Risikosituationen früher erkennen und besser gegensteuern können."

Seine Taten von damals werden immer ein Teil von ihm bleiben, das weiß Lukas. Aber zuschlagen, den Menschen, die er liebt, Gewalt antun – das, so seine tiefe Überzeugung, möchte er nie wieder.

Über dieses Thema berichten wir auch in der Lokalzeit OWL am 25.11.2022 im WDR Fernsehen.