Wenn der Löffel zu schwer wird - OWLs erste Long Covid-Ambulanz für Kinder

Stand: 30.06.2022, 17:08 Uhr

Noch werfen die Langzeitfolgen einer Coronainfektion viele Fragen auf – wie verläuft die Erkrankung und was können verzweifelte Familien tun? Eine der ersten Post-Covid-Ambulanzen Nordrhein-Westfalens in Bethel begleitet Familien auf dem Weg zurück in ein normales Leben.

Von Julia Schlöpker

Es ist ein heißer Tag. In der Kinderklinik Bethel in Bielefeld erwartet Assistenzarzt Jeremy Schmidt zwei Jungen, die in die 5. Klasse gehen. Eigentlich – beide hatten im Frühjahr Covid 19, der eine mit Fieber, der andere mit Schnupfen. Für den Unterricht sind beide seit Monaten zu schwach. Der zehnjährige Felix ist extra mit seiner Mutter aus Andernach bei Koblenz angereist.

Sie waren schon bei diversen Ärzten – bisher lautete die Diagnose Depression. Die Familie fühlt sich unverstanden. Vier Mal die Woche Fußball, Freunde treffen – all das würde Felix ja gerne, doch an manchen Tagen ist er so kaputt, dass er nicht einmal allein die Treppe hochgehen kann. Jeremy Schmidt macht sich mit Psychotherapeutin Juliane Venghaus ein genaues Bild von seinem Alltag und seinen Beschwerden.

Die eigene Energie einteilen

Schnell stellt sich heraus: Sobald es Felix gut geht und er etwas unternimmt, folgt ein Tief – tagelange Schwäche. "Das ist ein so genannter Crash," erklärt Schmidt. Sein Rat: Sich die wenige Energie gut einteilen, um Rückschläge zu vermeiden. Das gilt auch für den elfjährigen Justus aus der Nähe von Köln. Der ist eigentlich eine Leseratte. "Ich kann mich aber auf kein Buch mehr konzentrieren - mein Kopf ist total matsch," berichtet der Junge. Manchmal könne er beim Essen den Löffel kaum halten.

Für seine Mutter stand schnell fest, dass ihr Sohn Long Covid hat. Die beiden Fälle sind auch für Jeremy Schmidt eindeutig. Das ist nicht immer so. Schon bei der Anmeldung in der einzigen Ambulanz dieser Art in ganz Ostwestfalen-Lippe möchten die Mediziner herausfinden, ob Long Covid vorliegen könnte, oder ob die Kinder eher an den Folgen der Pandemie leiden. "Die sind gewaltig", meint Prof. Dr. Eckard Hamelmann, Chefarzt der Kinderklinik. In Bethel kennt man sich aus mit chronischen und psychischen Erkrankungen.

Fälle aus ganz Nordrhein-Westfalen in Bethel

Seit April hat Kinderarzt Jeremy Schmidt 27 junge Patienten und Patientinnen untersucht. "Unsere Warteliste ist lang". Die meisten Kinder seien älter als zehn Jahre - sie kommen aus ganz NRW. Neben intensiven Gesprächen wird ihnen Blut abgenommen und das Lungenvolumen überprüft. Auch Felix und Justus müssen kräftig in ein Mundstück blasen. Ein Raum weiter: Hier sollen sie abwechselnd still liegen und aufstehen, während ihr Puls gemessen wird. Lange macht ihr Kreislauf das nicht mit. „Dies ist nur eine Momentaufnahme. Wir begleiten die Patienten zuhause weitere drei Monate “, erklärt Schmidt. Justus und Felix können mit einem kleinen Gerät für die Lunge, einer Smart Watch und einer Gesundheits-App täglich testen, wie fit sie sind und die Daten teilen. Regelmäßig halten Sie zur Ambulanz in Bethel Kontakt per Videogespräch.

Universität Bielefeld arbeitet an Long Covid-Studie

Der Verlauf ist für Jeremy Schmidt auch aus wissenschaftlicher Sicht wichtig. Er arbeitet an einer Studie über Long Covid bei Kindern für die Universität Bielefeld. Noch gibt es wenige Therapieansätze. Ein bis zwei Prozent der an Covid 19 erkrankten Kinder und Jugendlichen entwickeln Spätfolgen, schätzt Schmidt. „Der Versorgungsmangel ist groß. Die bekommen nicht genügend Hilfe.“ Das möchte das Ärzteteam in der Kinderklinik Bethel ändern und hofft auf Geld vom Land, um intensiver forschen zu können.

Über dieses Thema haben wir am 12.07.2022 in der Lokalzeit OWL im WDR Fernsehen berichtet.

Wie lebt es sich mit Corona-Spätfolgen? Planet Wissen 20.11.2023 05:01 Min. UT Verfügbar bis 21.01.2026 WDR Von Chantal Beil