Operationssaal, zwei Krankenpflegerinnen beobachten eine Operation

14-Jähriger stirbt bei Routine-OP in Gütersloh: Arzt auf Bewährung verurteilt

Stand: 10.06.2022, 10:20 Uhr

Nachdem vor einigen Jahren ein Junge bei einer Routine-OP im St. Elisabeth Hospital in Gütersloh starb, wurde am Donnerstag ein Assistenzarzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Von Oliver Köhler

Der angeklagte Assistenzarzt erhielt eine Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er muss außerdem 10.000 Euro Schmerzensgeld an die Eltern zahlen. Sie haben außerdem das Krankenhaus auf eine halbe Million Euro verklagt.

Bei der Urteilsverkündung kollabierte der angeklagte Assistenzarzt. Der 47-Jährige schlug mit dem Kopf auf den Tisch und war für kurze Zeit bewusstlos.

Narkosemittel-Schläuche vertauscht

Am 20. November 2018 sollte der 14-jährige Kevin Fuhr im St. Elisabeth Hospital in Gütersloh am Meniskus im rechten Knie operiert werden. Doch bei der Einleitung der Narkose erstickte er. Die Schläuche waren am Gerät falsch angeschlossen. Das Krankenhaus hat mitgeteilt, dass dieser Fehler jetzt nicht mehr möglich sei, inzwischen würden nämlich spezielle Schlauchsysteme eingesetzt.

Arzt hat Ausbildung noch nicht komplett abgschlossen

Zu Beginn des Prozesses hatte sich Armen H. bei den Eltern des verstorbenen Kevin entschuldigt und sein Beileid ausgesprochen. Armin H. stammt aus Armenien. Der 47-Jährige absolvierte dort sein Medizinstudium und war danach mehrere Jahre als Arzt auf der Intensivstation eines Militärkrankenhauses beschäftigt. 2014 zog er nach Deutschland und arbeitete zunächst als Assistenzarzt im Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen.

Seit dem 1. April 2017 ist er im St. Elisabeth Hospital Gütersloh angestellt. Obwohl er seine Ausbildung zum Anästhesisten bislang nicht abgeschlossen hat, führte er in dem Gütersloher Krankenhaus bis zum Unglückstag eigenständig rund 600 Vollnarkosen durch. Mit Wissen und Duldung seiner Vorgesetzten.

Prozess deckt mutmaßliche Organisationsmängel im Krankenhaus auf

Der angeklagte Assistenzarzt sagte aus, von den zuständigen Oberärzten nicht umfassend eingewiesen worden zu sein. So habe er die Alarmmeldungen des Narkosegeräts nicht gekannt. Auch sei ihm nie gesagt worden, dass er einen speziellen Check vor jeder Narkose am Gerät machen muss.

Zeugen bestätigten vor Gericht, dass es bis zum Unglückstag auch keine schriftliche Dienstanweisung dafür gab. Der Angeklagte hatte sich offensichtlich ganz auf die OP-Schwester verlassen. Sie, eine einfache Arzthelferin, besitzt allerdings keinerlei Zusatzausbildung in Anästhesie.

Trotzdem sei sie regelmäßig im OP eingesetzt worden, sagte sie vor Gericht. Sie war es, die den Sauerstoffschlauch am Gerät falsch angeschlossen hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen sie ist jedoch mittlerweile gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden.

Krankenhaus reagiert

Das Krankenhaus sieht in dem Unglück eine "höchst unglückliche Verkettung von technischen Unzulänglichkeiten, Fahrlässigkeit sowie das folgenschwere Fehlverhalten des erfahrenen Arztes". Unmittelbar danach hat das gesamte Team die Abläufe mit einer unabhängigen Risikoberatungsgesellschaft aufgearbeitet.

Zudem werden regelmäßig Ausnahmesituationen mit hohem Stressfaktor im eigenen Simulationszentrum trainiert. Dadurch werden Abläufe weiter angepasst und optimiert, um Ereignisse mit dieser Tragweite zu vermeiden. Einen vergleichbaren Fall habe es bisher aber noch nicht gegeben, so das Klinikum.

Möglicherweise werden noch weitere Ärzte angeklagt

Im Laufe der Beweisaufnahme gerieten auch eine Fachärztin für Anästhesie und ein Oberarzt in den Fokus. Beide waren von dem Angeklagten in den OP-Saal zur Hilfe gerufen worden. Auch sie trennten den bereits narkotisierten Kevin Fuhr nicht vom Narkosegerät, um ihn mittels Handbeutel manuell mit Sauerstoff zu versorgen. Möglicherweise hätte der Junge so überlebt.

Stattdessen gingen sie von einer Verkrampfung der Atemwege bei dem 14-Jährigen aus. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld prüft nun, ob gegen die beiden nun auch Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben wird. Heute (09.06.2022) wird aber zunächst einmal das Urteil gegen den Assistenzarzt erwartet. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe.

Über dieses Thema berichten wir am 09.06.2022 in der Lokalzeit OWL um 19.30 Uhr und auf WDR2.