
Kriminologin ist Missbrauchsbeauftragte der evangelischen Kirche
Stand: 10.02.2025, 12:23 Uhr
Die Evangelische Kirche von Westfalen hat eine neue Missbrauchsbeauftragte. Das Besondere: Sie war bisher keine Mitarbeiterin der Kirche, sondern ist Kriminologin. Charlotte Nieße hat an der Cambridge University studiert, an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster promoviert und in Präventionsprojekten gearbeitet.
Von Uwe Pollmann
Vor einem Jahr erschien eine Studie über Missbrauch in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Forschenden zählten mindestens 1.259 Beschuldigte, darunter 511 Pfarrer und mindestens 2.225 Betroffene.
WDR: Sie sind seit einem Monat die neue Missbrauchsbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen. Sie kommen von außen, sind keine Theologin oder Kirchenrätin, sondern Kriminologin mit dem Schwerpunkt Missbrauch. Was können Sie einbringen, was die Kirche nicht hat?
Charlotte Nieße: Zweierlei Dinge, würde ich sagen. Einerseits auf jeden Fall die wissenschaftliche Perspektive, meine Erfahrungen aus der Präventionsarbeit, sowohl in wissenschaftlichen Studien als auch in praktischen Projekten. Und dann natürlich auch den externen Blick.
Ich denke, wenn man lange in einer Institution gearbeitet hat, dann vereinheitlichen und normalisieren sich Dinge, die man vielleicht, wenn man neu dazu kommt, hinterfragt. Und man hat vielleicht Ideen, wie man sie verbessern kann. Den Blick soll ich explizit einbringen.
Prävention ist sicher ein wichtiger Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Sie sollen auch unvoreingenommen auf die Strukturen und Prozesse gucken und herausfinden, wo mehr Aufarbeitung nötig ist. Wo ist denn mehr nötig?
Prävention ist nie abgeschlossen, würde ich sagen. Insgesamt gibt es ja unterschiedliche Standbeine, um die wir uns kümmern, einerseits die Intervention im Akutfall, dann aber auch die Aufarbeitung und die Prävention.
Das sind Zahnräder, die ineinander greifen. Und die Prävention muss man immer anpassen an die jeweiligen neuen Erkenntnisse, an die Täterinnen- und Täterstrategien. Und insofern ist das ein Prozess, der sich ständig weiterentwickelt.
Sie werden auch vorher schon auf die Missbrauchsgeschichte in der Kirche geschaut haben. Was läuft in der Aufarbeitung noch nicht gut?
Ich denke, wir müssen transparenter werden. Wir müssen proaktiver an die Öffentlichkeit gehen mit Dingen. Wir müssen Betroffene besser einbinden. Das sind ganz verschiedene Bereiche, an denen ich auch jetzt persönlich arbeiten möchte. An denen auch das Team mit mir zusammen arbeitet.
Was ist gut?
Was gut läuft, ist auf jeden Fall der Austausch innerhalb von NRW mit den anderen beiden Landeskirchen und auch der Diakonie. Dass wir einheitliche Standards schaffen. Ich denke, das ist auch sehr wichtig für Betroffene.
Missbrauchs-Opfer erwarten, dass die neue Beauftragte einen klaren Plan vorlegt, um bisher unerkannte Taten aufzuklären und Täter zu stellen. Wie kann das gehen?
Da würde ich ein bisschen abgrenzen. Also Täter zu finden, Taten aufdecken, das ist natürlich Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Was wir aber machen, worum wir uns kümmern, das ist der Bereich der institutionellen Verantwortung. Also etwa zu schauen, wo müssen wir weiter aufarbeiten, wo müssen wir noch weitere Fakten klären, wo muss nochmal genauer hingeschaut werden, wo können Standards geschaffen werden. Ergebnisse aus diesen Bereichen können dann beispielsweise in die Präventionsarbeit einfließen.
Vor einem Jahr hat die Evangelische Kirche zugesagt, alle Personalakten auf Verdachtsfälle zu prüfen. Wie lange wird das in der westfälischen Landeskirche dauern?
Wir sind gerade auf der Suche nach Personen, die dieses Screening durchführen können. Das wird hoffentlich jetzt in absehbarer Zeit gelungen sein. Das Screening selbst wird etwa ein Jahr dauern.
Es wurde also noch nicht angefangen...
Nein, weil es nicht ganz einfach ist, die Personen zu finden, die das Screening durchführen. Weil das Menschen machen müssen, die auch zwischen den Zeilen lesen können müssen. Denn es wäre ja, denke ich, ganz ungünstig, wenn man dieses Screening jetzt durchführt und dann dabei aber dennoch Fälle übersieht. Dann lieber ein paar Monate mehr Zeit lassen und tatsächlich sicher gehen, dass man nichts übersieht.
Das Interview führte Uwe Pollmann.
Missbrauch in der Ev. Kirche: Aufarbeitung dauert weiter an.
Lokalzeit OWL. 07.02.2025. 02:40 Min.. Verfügbar bis 07.02.2027. WDR. Von Uwe Pollmann.