Überall fehlen Arbeitskräfte: Ist die Pandemie schuld?

Stand: 28.06.2022, 14:25 Uhr

An der Gepäckabfertigung, im Operationssal und im Restaurant um die Ecke - überall fehlen Arbeitskräfte. Die kritische Infrastruktur ist dadurch bisher nicht gefährdet, die Folgen der Abwanderung aus bestimmten Branchen sind aber spürbar. Wo sind die Mitarbeiter hin?

Miriam ist Studentin, vor der Pandemie hat sie in einem Café gearbeitet. Als die Gastronomie wegen Corona schließen musste, hat sie sich einen anderen Job gesucht und arbeitet jetzt im Testzentrum eines Freundes.

"Ich hatte auch überlegt, zurück in die Gastro zu gehen. Aber man bekommt halt einfach deutlich mehr Geld und man arbeitet nicht in die Nacht hinein." Miriam, Studentin

Mehr Geld und bessere Arbeitszeiten

Miriam bekommt jetzt 15 Euro pro Stunde statt Mindestlohn, wie vorher. Und die Arbeitszeiten im Testzentrum lassen sich besser mit ihrem Privatleben vereinbaren. Auch für viele andere gute Argumente, der Gastro-Branche den Rücken zu kehren. Die Folge: Laut Deutschem Hotel- und Gaststätenverband suchen mehr als 80 Prozent der Betriebe Mini-Jobber.

Doch die sind wie Miriam in andere Branchen gewechselt, in denen es gerade mehr Bedarf gibt: Versandhandel, Lieferdienste, Supermärkte. Oder eben - wie Miriam - in Testzentren.

Probleme auf dem Arbeitsmarkt "strukturell und langfristig"

Der Arbeitsmarkt hat sich verändert, damit beschäftigt sich auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Er sagt: Es gibt ein strukturelles Problem. Eine Massenabwanderung habe es nicht gegeben, sondern zu wenig Neueinstellungen in einigen Branchen.

"Jetzt wollen alle wieder öffnen, das Geschäft hochfahren. Und zwar alle gleichzeitig und kurzfristig. So schnell funktioniert das aber einfach nicht im Arbeitsmarkt." Enzo Weber, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Weber geht davon aus, dass sich das erst im kommenden Jahr wieder einigermaßen "zurechtgeruckelt" haben wird. Und er weist darauf hin, dass uns das Thema Personmalmangel noch lange begleiten wird. Zum einen, weil Deutschland inzwischen deutlich näher an der Vollbeschäftigung stehe, zum anderen wegen des demografischen Wandels. "Wir verlieren im deutschen Arbeitsmarkt jedes Jahr drei- bis vierhunderttausend Leute. Und dieser Effekt wird noch gravierender."

Die Arbeitgeber müssen attraktiver werden

Wie gut sind also die Chancen für Branchen wie die Gastro, Mitarbeiter neu- oder zurück zu gewinnen? Enzo Weber sagt, dass gerade junge Leute gar nicht unbedingt weniger arbeiten wollen - nur flexibler. Das sei eine Möglichkeit für Arbeitgeber, attraktiver zu werden. Und natürlich bessere Bezahlung. In der Gastro gilt seit Mai ein neuer Tarifvertrag mit Lohnerhöhungen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass sich laut Dehoga die Abwanderung von Personal langsam wieder umkehrt.

Neben diesen strukturellen Problemen, machen den betroffenen Branchen aber auch akute Corona-Ausfälle zu schaffen. Die Zahl der Neuinfektionen steigt weiterhin an. Am Dienstag lag die 7-Tage-Inzidenz iin NRW bei 774.

Keine akuten Engpäße bei Polizei und Feuerwehr

Aber auch wenn an manchen Ecken aufgrund von Corona Arbeitskräftemangel herrscht: Die kritische Infrastruktur in NRW ist durch Krankheitsfälle anscheinend nicht gefährdet. Eine WDR-Umfrage bei den Feuerwehren in Aachen, Bielefeld, Dortmund, Köln und Münster hat am Dienstag ergeben, dass die Einsatzfähigkeit der Feuerwehrleute derzeit sichergestellt ist. Es gebe immer wieder einzelne Erkrankungen, aber keine besonders hohen Ausfälle durch Corona.

Bei der Polizei gibt es aktuell ebenfalls keine Hinweise, dass die Einsatzfähigkeit der Behörden aufgrund von Corona beeinträchtigt sein könnte. Das teilte das NRW-Innenministerium am Dienstag dem WDR mit. Sollte es zu größeren Personalausfällen durch Corona-Erkrankungen kommen, könnten die Einsatzkräfte jederzeit regional verschoben werden.

"Die Polizei NRW behält die pandemische Lage genau im Blick." NRW-Innenministerium

Personalausfälle in Kliniken können ausgeglichen werden

In den Krankenhäusern in NRW nehmen die Personalausfälle parallel zur Entwicklung der Corona-Fallzahlen in der Bevölkerung zwar zu. Das NRW-Gesundheitsministerium teilte dem WDR am Dienstag aber mit, die Versorgung der Patienten sei nicht gefährdet.

"Einschränkungen, die sich in den Krankenhäusern durch Corona-bedingte Personalausfälle zeitweilig ergeben, können derzeit regional kompensiert werden." NRW-Gesundheitsministerium

Dennoch ist das Zusammenwirken von steigenden Corona-Infektionen und Urlaubszeit in manchen Kliniken im Bergischen Land zu spüren. Im Remscheider Sana-Klinikum müssen deswegen vereinzelt Operationen verschoben werden. Das Wuppertaler Bethesda Krankenhaus befürchtet nach Auskunft eines Kliniksprechers vorübergehende Einschränkungen in der Grundversorgung, sollte noch mehr Personal ausfallen.