Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, spricht  im Deutschen Bundestag

Gastbeitrag von Cem Özdemir: "Deutsche Mitschuld am Völkermord"

Stand: 31.05.2016, 16:53 Uhr

Nach langer und zäher Verhandlungsarbeit wird der Bundestag am 2. Juni endlich mit gemeinsamer Stimme dem Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich gedenken.

Von Cem Özdemir, MdB, Grüne

Der Bundestag sieht sich bei der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern und anderen christlichen Bevölkerungsgruppen zum Handeln veranlasst, weil es sich dabei auch um ein Stück deutscher Geschichte handelt. Als enger Verbündeter der Osmanen war das Deutsche Reich wohl informiert über die grausamen Verbrechen. Statt einzuschreiten oder zu protestieren entschied man sich stattdessen gar nichts zu tun. Die Gründe fasste der damalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg mit einem Zynismus zusammen, der einen noch heute erschaudern lässt: "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht."

Aber warum haben wir dann nicht schon früher gehandelt? Warum hat der Bundestag nicht schon im Jahr 2005 bei seinem letzten gemeinsamen Antrag zum Thema den Völkermord klar als solchen benannt? Die Antwort liegt in den Entwicklungen der letzten elf Jahre. Die türkische Zivilgesellschaft ist seitdem einen großen Schritt vorangekommen. Es gibt nun regelmäßig Gedenkfeiern, Konferenzen und andere Veranstaltungen zum Völkermord. Wegweisend dafür war mein Freund Hrant Dink, der armenisch-türkische Journalist, der 2007 hinterrücks ermordet wurde. Leider wurde dieser zivilgesellschaftliche Aufbruch nicht von einem politischen Aufbruch begleitet. Kurz hatten wir die Hoffnung, mit den Züricher Protokollen von 2009, dass Ankara und Jerewan sich wieder annähern würden. Nun herrscht erneut Schweigen zwischen den Hauptstädten, die Grenzen sind nach wie vor geschlossen.

Mit unserem gemeinsamen Antrag wollen wir nun die türkische Zivilgesellschaft unterstützen, die so mutig für die Aufarbeitung des Völkermords kämpft. Wir möchten aber auch Armenien und die Türkei dazu auffordern, sich endlich wieder anzunähern. Wir tun dies, weil wir uns mitverantwortlich fühlen für die Aufarbeitung dieses grausamen Verbrechens – das den traurigen Ausgangspunkt für die Schaffung der UN-Völkermord-Konvention 1948 bildete. Rafael Lemkin, der Schöpfer des Begriffs Genozid und Initiator der Konvention, sagte damals, das Leiden der Armenier habe "den Weg für die Annahme der UN-Genozidkonvention" vorbereitet. Die deutsche Mitschuld am Völkermord ist ein Auftrag zur Aufarbeitung.

Ein Gastbeitrag von Cem Özdemir, MdB, Grüne